Naturfotografie im Wacholderhain

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Sehr gerne erinnere ich mich an meinen allerersten Besuch im Emsland zurück, denn damals habe ich dort einige ausgesprochen schöne Tage verbracht. Obwohl unmittelbar an meinen eigenen Landkreis angrenzend, hatte ich bis dahin diese eher unspektakuläre, weitgehend flache Landschaft gar nicht so auf dem Schirm gehabt. Ein Fehler, wie sich herausstellen sollte. Das Emsland kann nämlich mit so manchem lohnenden Fleckchen Natur aufwarten. Eines dieser Kleinode ist ohne Frage der Haselünner Wacholderhain, den ich euch heute vorstellen möchte.

Ich sehe es schon förmlich vor mir, wie der eine oder die andere sich jetzt vermutlich am Kopf kratzt und sich fragt: Wer oder was ist Haselünne und was in aller Welt mag denn bloß ein Wacholderhain sein?

Panoramaansicht des Haselünner Wacholderhains

Wo Hase kein Tier und Wacholder kein Schnaps ist

Am besten klären wir das alles mal der Reihe nach: Im Osnabrücker Land und im Emsland weiß man nicht nur, wie der Hase läuft, sondern auch, wo die Hase fließt. Ja, ihr habt richtig gelesen, die Hase ist ein Fluss, und zwar ein gar nicht mal so kleiner. Sie entspringt im Teutoburger Wald bei Wellingholzhausen im Landkreis Osnabrück und mündet 170 km später bei Meppen in die Ems.

Das war aber nur die Kurzfassung. In Wirklichkeit ist alles ein wenig komplizierter, denn die Hase ist ein ziemlich kapriziöses Gewässer. Wo jeder ordentliche Fluss sein Wasser ohne irgendwelche Fisimatenten schlicht und einfach von der Quelle zur Mündung führt, da spaltet sich die Hase schon nach wenigen Kilometern bei Gesmold wieder auf. Zwei Drittel ihres Wassers fließen, wie es sich gehört, als Hase weiter zur Ems. Das andere Drittel aber gibt sich höchst eigenwillig und biegt unter dem neuen Namen Else einfach in Richtung Werre ab, welche wiederum in die Weser mündet.

Wacholder gibt es hier in Form von Büschen und Hecken, aber auch als ziemlich hohe Bäume.
Der Wuchs alter Stämme ist oft erstaunlich bizarr.

Auch am Ende ihres Weges geht es bei der Hase eher unübersichtlich zu: Sie ergießt ihr Wasser nämlich nicht einfach, wie man es von einem ordentlichen Fluss erwarten dürfte, in die Ems. Nein, ein Teil von ihr mündet stattdessen in den Dortmund-Ems-Kanal. Ihr seht schon, die Hase ist alles andere als ein stinknormaler Fluss. Dabei habe noch nicht einmal erwähnt, dass sie sich zwischen Badbergen und Quakenbrück auch noch zum sogenannten Hasedelta aufteilt.

Keine Angst, wir haben’s gleich. Nachdem ihr jetzt das Wichtigste über die Hase wisst, kommen wir nun zu dem kleinen, aber uralten Städtchen Haselünne, einem Ort, den es tatsächlich schon zu Zeiten Karls des Großen gab. Aber so interessant seine Historie vielleicht auch sein mag, möchte ich eure Aufmerksamkeit doch lieber gleich auf die nur wenige Meter außerhalb der Altstadt gelegene Haseschleife lenken.

Inmitten dieser Schleife liegt, von drei Seiten eingegrenzt durch den Fluss, ein recht ordentliches Stück Land, das von den ortsansässigen Bauern seit dem Mittelalter als Viehweide genutzt wurde. Diese Verwendung hatte ganz erhebliche Auswirkungen auf den Charakter des Areals. Wo sich natürlicherweise ein Wald entwickelt hätte, entstand durch den permanenten Verbiss der Tiere eine offene Heidelandschaft. Lediglich die pieksigen Wacholder und ein paar andere stachelige Gesellen wurden verschont und konnten sich deshalb auf einem großen Teil des Areals über die Jahrhunderte prächtig entwickeln.

Mein Fototag im Haselünner Wacholderhain

Es hilft ja nichts: Weil ich möglichst noch vor Sonnenaufgang in Haselünne sein will, habe ich keine andere Wahl, als mich bereits um 5.00 Uhr aus dem Bett zu quälen. Spätestens jetzt bin ich doch ganz froh, dass wir schon Herbst haben, und die Tage bereits ein ganzes Stück kürzer geworden sind. Ich möchte lieber gar nicht wissen, wann ich im Sommer hätte aufstehen müssen. Die Naturfotografie ist ein wunderbares Hobby – für begeisterte Frühaufsteher. Ich gehöre allerdings definitiv nicht dazu.

Haselünner See am frühen Morgen

Mein Auto parke ich ganz in der Nähe des Haselünner Sees, über dem jetzt am frühen Morgen noch ein leichter Nebelschleier liegt. Ich wandere ein Stückchen am Seeufer entlang, biege hinter einer Brücke ab und erreiche schon bald den Wacholderhain. Weil zum Schutz vor Wölfen das gesamte Areal neu umzäunt wurde, muss ich noch ein paar Schritte gehen, bis ich schließlich durch ein Tor in das Gelände gelange.

Herbst hin oder her, was das Wetter betrifft, habe ich Glück und erwische eher einen typischen Spätsommertag. Morgens ist es zwar noch ziemlich kühl und die Wiesen (sowie nach wenigen Minuten auch meine Schuhe, Strümpfe und Hosenbeine) sind nass, aber im Laufe des Vormittags steigen die Temperaturen auf über 20°C. Vielleicht ein letztes Mal in diesem Jahr gibt sich die Sonne alle Mühe, den durchwachsenen Sommer vergessen zu machen.

Übrigens: Wenn ich hier einfach nur vom Wacholderhain spreche, dann ist das streng genommen nicht ganz korrekt. Eigentlich handelt es sich um das Naturschutzgebiet „Haselünner Kuhweide“ (heute zudem Teil eines erheblich größeren Natura-2000-Gebiets). Neben naturbelassenen Wiesen, Hase-Altarmen, sumpfigen Niederungen, sandig-trockenen Magerrasen und einem größeren Bereich mit sehr alten Bäumen stellt der eigentliche Wacholderhain nur einen Teil dieses Gebiets mit seiner äußerst vielfältigen Natur dar.

kleine Tarpan-Gruppe

Glücksmomente in der Tarpan-Herde

Glück muss man haben: Kaum angekommen, treffe ich schon auf die kleine Tarpan-Herde. Diese Pferde, eine Rückzüchtung der leider längst durch den Menschen ausgerotteten Wildpferde gleichen Namens, übernehmen heute zusammen mit einer Schafherde die Aufgabe, die alte Hudelandschaft offen zu halten. Es ist einfach herrlich, diese anspruchslosen und überaus liebenswerten Geschöpfe hier in der (beinahe) freien Natur zu erleben. Die Pferde kommen sehr gut alleine zurecht, und so bleiben sie, von einer jährlichen Wurmkur abgesehen, tagein und tagaus sich selbst überlassen.

Natürlich krame ich angesichts der kleinen Herde in der Ferne gleich mein längstes Tele hervor. Kaum habe ich es jedoch vor die Kamera geschraubt, da überraschen mich die ersten neugierigen Tiere damit, dass sie sich vorsichtig in meine Richtung auf den Weg machen. Also Kommando zurück: langes Tele runter, mittleres Tele drauf. Doch auch damit bleibt mir gerade einmal genug Zeit für einige wenige Aufnahmen. Denn jetzt geschieht etwas, mit dem ich nie und nimmer gerechnet hätte:

Offenbar sind sich die Wildpferde inzwischen darin einig geworden, mich als harmlos einzuschätzen. Jedenfalls trottet die ganze Tarpan-Herde nun direkt auf mich zu, und ich denke bereits daran, dass ich jetzt wohl besser vom Tele- aufs Weitwinkelzoom wechseln sollte. Dazu komme ich dann aber gar nicht mehr, weil die Tiere endgültig jede Zurückhaltung aufgeben. Offenbar finden sie diesen seltsamen Kauz mit seinem Rucksack inzwischen so interessant, dass buchstäblich jedes Einzelne von ihnen versucht, so nah wie möglich an mich heranzurücken. So dicht umringt war ich seit meinem letzten Disco-Besuch vor 40 Jahren nicht mehr.

Hier erkennt man gut den für ursprüngliche Pferderassen typischen Aalstrich am Rückgrat.

Vielleicht könnte ich meinen Fotorucksack ja dennoch abnehmen. Möglicherweise gelänge es mir sogar, inmitten der mich eng umlagernden Tarpane das Objektiv zu wechseln. Aber daran verschwende ich keinen Gedanken. Dafür ist mir dieser einzigartige Moment einfach viel zu wertvoll. Es ist ein ganz und gar unglaubliches Gefühl, mich völlig unerwartet inmitten einer Wildpferdeherde wiederzufinden und von etlichen ebenso weichen wie neugierigen Nasen gleichzeitig angestupst zu werden, ganz sanft, vielleicht sogar freundschaftlich…

Es sind Augenblicke wie dieser, in denen ich mich vollständig eins mit der Natur fühle: ohne Argwohn akzeptiert, nicht gefürchtet als Feind. Kein Wunder, dass die Fotografie aus einem Versteck heraus nicht ganz so mein Ding ist. Auch wenn man dabei die ahnungslosen Tiere verhältnismäßig leicht beobachten und fotografieren kann, wird mir so etwas niemals jenes Glücksgefühl ersetzen, das sich bei mir einstellt, wenn wilde Tiere Vertrauen zu mir fassen und mich in ihrer Nähe tolerieren.

Stille Motive in einer ungewöhnlichen Landschaft

Ich schlendere fotografierend noch viele Stunden durch dieses außergewöhnliche Fleckchen Natur, mache mit meiner Kamera reiche Beute. Von den knorrigen alten Wacholdern kann ich mich kaum losreißen. Man findet sie hier in großer Vielfalt, mal sind es Büsche, mal Bäume, dann wieder nahezu undurchdringliche Hecken. Wie herrlich, dass es praktisch keine Wege, dafür aber eine Vielzahl von Trampelpfaden gibt, auf denen ich das alles in Ruhe erkunden kann. Erstaunlicherweise scheint Naturschutz hier sogar ohne das sonst allseits übliche Wegegebot ziemlich gut zu funktionieren. Heute zumindest kann ich nirgends achtlos weggeworfene Abfälle oder gar Anzeichen von Vandalismus entdecken. Und die wenigen anderen Besucher verhalten sich alle genau so, wie man es sich nicht besser wünschen könnte. Sollten die Menschen im Emsland etwa ein wenig vernünftiger sein als anderswo?

Wer sagt denn, dass es bei uns keinen nahezu undurchdringlichen Dschungel gibt?
Wacholderbeeren

Ganz ohne Fehl und Tadel ist aber auch die Welt im Emsland nicht. So überrasche ich inmitten eines kleinen Wäldchens einen ganzen Trupp von Naturschutzmitarbeitern bei einem gemütlichen Päuschen. Dabei sollten sie sich doch eigentlich darum kümmern, die Heidelandschaft offen zu halten. Stattdessen fläzen sie im dicken Wollpullover ohne jeden erkennbaren Arbeitseifer unter einem Baum. Ich will zu ihren Gunsten einmal annehmen, dass sie heute bereits ihr Soll im Mähen erfüllt haben. Vermutlich würden sie den Vorwurf, sich einfach nur dem Müßiggang hinzugeben, ohnehin zurückweisen mit dem Verweis auf die höchst wichtige Tätigkeit des Wiederkäuens, die nun einmal am besten im Liegen zu erledigen ist.

Die Herrschaften wollen ganz offensichtlich nicht gestört werden. Da ich für ein paar Fotos kurz stehen bleibe, muss ich mir einige skeptische Blicke gefallen lassen. Alsbald geht man aber dann wieder zur geruhsamen Tagesordnung über, und auch ich setze meinen Weg fort.

Ein Stück weiter gelange ich zum Kiebitzberg. Diese überaus imposante Anhöhe, für deren Besteigung man gut und gerne 8, wenn nicht sogar 10 – nun ja – Sekunden ansetzen sollte, stellt die höchste Erhebung dieses Areals und überhaupt des gesamten Stadtgebiets von Haselünne dar. In ihrer Nähe stoße ich auf ein offenbar sehr altes Waldgebiet, in dem einige wahre Baumriesen ihre majestätische Pracht entfalten, während andere bereits das Stadium des Alterns und Sterbens in Würde erreicht haben.

Für heute verabschiede ich mich vom Wacholderhain. Der Eindruck meines ersten Besuchs vor einigen Jahren hat sich voll und ganz bestätigt: Dieses auf den ersten Blick recht unspektakuläre Gebiet ist ein wahres Schatzkästchen für Naturfotografen. Ich werde mit Sicherheit immer mal wieder und zu verschiedenen Jahreszeiten nach Haselünne fahren, um nach und nach die gesamte Vielfalt dieser uralten Viehweide einzufangen. Und selbstverständlich werde ich dabei jedes Mal Ausschau halten nach „meinen“ Tarpanen, die mir heute einen so ganz und gar unvergesslichen Moment geschenkt haben.

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