Ausflug in die Welt des Steampunk

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Seitensprünge

Wie überaus vorausschauend es doch war, dass ich hier im Glaslinsenspiel bereits vor längerer Zeit die damals brandneue Kategorie „Seitensprünge“ eingeführt habe. Sie erlaubt es mir, euch mit gutem Gewissen von Zeit zu Zeit von meinen fotografischen Ausflügen zu berichten, die mich immer mal wieder in Gebiete weit abseits der Naturfotografie führen. Mir macht das nicht nur jede Menge Spaß, ich lerne dabei fast immer auch den einen oder anderen Kniff kennen, der mir dann wieder in meinem eigentlichen Genre, also der Naturfotografie, von Nutzen ist.

So weit wie heute habe ich mich aber vermutlich noch nie aus meiner fotografischen Komfortzone gewagt. Statt um das Spektakel der Wirklichkeit, wie Fritz Pölking seine heiß geliebte Naturfotografie einst bezeichnet hat, ging es dieses Mal um reine Objekte der Fantasie, um eine mit großem handwerklichen Geschick materialisierte Traumwelt, basierend auf den Ideen des Steampunk.

Was ist Steampunk?

Die Welt des Steampunk war mir bis vor Kurzem völlig unbekannt. In Berührung mit ihr bin ich erst durch meinen Lieblingsschwager Herbert gekommen. Nun, er ist auch mein einziger Schwager, aber ich bin überzeugt davon, dass er selbst im Rahmen einer – zum Glück rein fiktiven – größeren Sippe die Nase ziemlich weit vorne hätte. Doch zurück zum eigentlichen Thema, nämlich zum Steampunk. Im Grunde geht es dabei, so wie ich ihn verstanden habe, um eine möglichst fantasievolle Antwort auf die Frage „Was wäre, wenn…?“.

Was wäre, wenn sich unsere Welt, vor allem die Welt der Technik, ab einem gewissen Zeitpunkt in der Vergangenheit anders entwickelt hätte? Wie sähen unsere Maschinen, wie sähe unsere Welt dann heute aus? Der Steampunk verkörpert insofern eine nicht ganz ernst gemeinte historische Utopie, also eine Art Zukunftsversion aus Sicht der Vergangenheit.

Das klingt euch zu theoretisch? Ehrlich gesagt mir auch. Machen wir es also ein wenig konkreter: Dazu begeben wir uns gedanklich zurück ins viktorianische England. Die Erfindung der als Spinning Jenny berühmt gewordenen ersten Spinnmaschine, mehr aber noch die Erfindung und nachfolgende Verbesserung der Dampfmaschine durch James Watt haben zu einem ersten Höhepunkt der Industrialisierung geführt. Die Welt ist schnelllebiger geworden, aber dann doch wieder nicht so sehr, dass man sich keine Zeit mehr dafür nähme, Maschinen und Bauwerke über ihre Funktionalität hinaus mit rein dekorativen Elementen zu verzieren. Man denke da nur einmal an die berühmte Zuckerbäcker-Architektur der ursprünglich dampfbetriebenen Londoner Tower Bridge.

Im Steampunk geht man von der fiktiven Idee aus, dies alles sei zum Ausgangspunkt einer anderen als der tatsächlichen technischen Entwicklung geworden. Auch in dieser erdachten Welt gibt es alle unsere modernen Dinge wie z.B. Autos, U-Boote und sogar Flugzeuge. Aber sie werden nach wie vor von Dampfmaschinen angetrieben und ihr Aussehen mutet noch immer weitgehend viktorianisch an. Klingt ein wenig skurril und verrückt, nicht wahr?

Vielleicht ist es das ja auch – ein wenig verrückt. Aber wenn, dann doch zumindest auf eine sehr unschuldige, harmlose Art und Weise. Ich finde, es hat schon beinahe etwas Tröstendes, wenn begabte Hobby-Modellbauer viele Stunden ihrer Freizeit nur darauf verwenden, eine eigene kleine Fantasiewelt aus liebevoll ausgedachten Objekten zu gestalten, ohne auch nur einen Gedanken an so etwas Banales wie deren Nützlichkeit oder Sinnhaftigkeit zu verschwenden. Ein kleiner Ausbruch aus unserer angeblich so rationalen, in Wirklichkeit aber selbstzerstörerischen Welt des Homo oeconomicus.

Bleibt noch die Frage, woher der Begriff „Steampunk“ kommt. Ganz klar, der vordere Wortteil „Steam“ deutet natürlich auf die Zeit der Dampfmaschinen hin. Bis dahin ist die Sache einfach. Aber was hat „Punk“ damit zu tun? Wir denken bei Punk vielleicht zuerst an die Punkmusik – und liegen damit zumindest nicht so ganz falsch. Auch sie sollte wohl selbstironisch als mies und wertlos – das ist die korrekte Übersetzung von „punk“ – deklariert werden. Wie auch immer: Steampunk mag zwar entbehrlich sein, wertlos oder gar mies ist er sicher nicht. Ganz im Gegenteil, bereitet er doch seinen Fans eine Menge Freude. Übrigens heißt es aus angeblich gut unterrichteten Kreisen, dass dies auch auf die Punkmusik zutreffen soll. Nun, ich denke, man darf gewiss nicht gleich jedes Gerücht für bare Münze nehmen.

Warum Steampunk?

Grob zusammengefasst gibt es beim Modellbau zwei Optionen: Zum einen kann man sich um größtmögliche Realitätstreue bemühen, also z.B. ein bestimmtes Flugzeug in jedem Detail so exakt wie nur irgend möglich nachbauen. Oder man sagt sich von all diesen Zwängen los und baut frei Schnauze ein selbst ausgedachtes Modell. Die erste Variante lässt keinerlei Raum für spielerische Fantasie, die zweite mag von manchen als zu beliebig empfunden werden.

Steampunk bietet vielleicht so etwas wie das Beste aus beiden Welten. Ein bestimmter gestalterischer Rahmen (siehe oben) ist vorgegeben, was ja die Kreativität fast immer spürbar beflügelt, darüber hinaus sind der Fantasie jedoch keinerlei Grenzen gesetzt – oder allenfalls solche der eigenen handwerklichen Fertigkeiten. Übrigens: Wer genau hinschaut, der wird feststellen, dass manche der abgebildeten Modelle nicht unbedingt dem Steampunk zuzurechnen sind. Fantasie kennt und akzeptiert nun einmal keine strengen Grenzen. Dafür sind sie fast alle wirklich funktionsfähig. Das heißt, je nach „Einsatzzweck“ können sie ferngesteuert fahren, fliegen, schwimmen oder auch noch weitere spezielle Kunststückchen vorführen, auch wenn dabei Akku und E-Motor die Rolle der Dampfmaschine übernehmen.

Die Fotos

Gleich neben seiner Werkstatt hat Herbert sich in einem Extraraum eine kleine Welt aus selbst gefertigten Steampunk-Modellen aufgebaut. Er bezeichnet sie gerne als sein Panoptikum, was man völlig zu Recht mit dem schönen Begriff „Kuriositätenkabinett“ ins Deutsche übersetzen kann. Es ist ein großes Vergnügen, dort zu sitzen und seine ungläubigen Augen in aller Ruhe über dieses im wahren Sinne des Wortes fantastische dreidimensionale Wimmelbild wandern zu lassen. Nach und nach stößt man auf immer weitere liebevoll ausgearbeitete Details. Man kann gar nicht anders, als noch einmal und noch einmal hinzuschauen. Keine Frage, dass mein Fotografenherz bei so einer Gelegenheit beginnt, schneller zu schlagen. Natürlich wollte ich dies alles unbedingt in Bildern festhalten.

Weniger ist mehr

Sehr bald wurde mir klar, dass es mit ein paar Übersichtsaufnahmen wohl kaum getan sein würde. Wie beinahe immer in der Fotografie, war auch hier ganz entscheidend, mir aus dem gesamten, wirklich faszinierenden Panoptikum für jede meiner Aufnahmen nur einige wenige Details herauszupicken. Im Grunde habe ich es beim reinen Betrachten ja auch nicht anders gemacht. Obwohl ich dabei immer die gesamte Szenerie vor mir hatte, verharrten meine Augen für eine Weile stets auf nur einem der Objekte, bevor sie dann zum nächsten wanderten. Dies alles in eine einzige Aufnahme zu packen, wäre also mehr als unklug gewesen.

Das Licht

Mir war von vornherein klar, dass ich mit der Lichtsetzung zwei Ziele verfolgen wollte: Zum einen sollte mir eine möglichst geschickte Ausleuchtung helfen, die für das Bild weniger wichtigen Elemente teilweise oder zur Gänze im Dunkeln verschwinden zu lassen. Schließlich ist mein Schwager nicht nur ein begabter, sondern auch ein recht produktiver Modellbauer. Mit anderen Worten: Das Panoptikum wimmelte nur so von Objekten, und ein paar von ihnen, oft jene, um die es mir gerade nicht ging, schienen sich immer irgendwo noch mit ins Bild mogeln zu wollen. Letztlich half dann nur eine weitgehende Abdunklung des Raums in Kombination mit gezielter Lichtsetzung.

Darüber hinaus hatte ich mir vorgenommen, mit farbigem Licht die unwirkliche, etwas spielerisch-verträumte Anmutung der Steampunk-Modelle noch zu verstärken. Um die Wirkung besser einschätzen zu können, habe ich auf Dauerlicht zurückgegriffen. Auch dabei kam mir die Raumabdunklung sehr entgegen. Da die Kamera auf einem Stativ klemmte und somit die Belichtungszeit keine nennenswerte Rolle spielte, reichten zwei kleine Flächen-LEDs im Handy-Format sowie eine röhrenförmige LED-Leuchte völlig aus. In einigen der Aufnahmen durfte ein kleines weißes Akzentlicht schließlich noch das berühmte Tüpfelchen auf’s i setzen.

Als Naturfotograf bin ich, wie man sich wohl denken kann, alles andere als ein Meister der Lichtsetzung. Es blieb mir also gar nichts anderes übrig, als ziemlich viel zu tüfteln und alles immer wieder neu auszurichten. Zum Glück hatte ich es bei meinen Motiven mit Fantasieobjekten zu tun. Insofern musste ich mich weniger um die „richtige“ als vielmehr um eine mir selbst stimmig erscheinende Ausleuchtung kümmern. Auch nicht ganz einfach, aber doch immerhin eine gewisse Erleichterung.

nützliche Hilfsmittel

Mir war es sehr wichtig, in meinen Aufnahmen eine Atmosphäre zu erzeugen, die den Charakter der Modelle unterstützen würde. Neben dem etwas surrealen, manchmal vielleicht sogar ein wenig unheimlich wirkenden farbigen Licht kamen dafür vor allem drei Hilfsmittel zum Einsatz:

Bei Bildern, in denen sich alles um Steampunk dreht, liegt die Verwendung von Dampf geradezu auf der Hand. Meine kleine Nebelmaschine, kaum größer als eine typische E-Zigarette und ähnlich arbeitend, war dafür wie gemacht. Eine Ladung Dampf an die richtige Stelle geben, kurz warten, jetzt in schneller Folge ein paar Fotos aufnehmen … und dann das Ganze wieder von vorne. Es dauerte manchmal einige Zeit, aber die eine oder andere halbwegs realistisch wirkende Dampfwolke sprang dabei eigentlich immer irgendwann heraus.

Zur Erzeugung der Unschärfeblasen im Vordergrund einiger Bilder habe ich schlicht und einfach einen etwas zurechtgebogenen Topfkratzer aus Metall vor das Objektiv gehalten und mit einer kleinen Leuchte angestrahlt. Auch hierbei sind die Ergebnisse kaum vorhersehbar, so dass stets eine ganze Reihe von Versuchen nötig war, bis mir die Ergebnisse gefielen.

Zu guter Letzt hat mir die unbeschriftete Seite einer CD, im passenden Winkel an das Objektiv gehalten, gute Dienste dabei geleistet, es so aussehen zu lassen, als spiegele sich mein Motiv im Wasser.

Ein persönliches Wort zum Schluss

Lieber Herbert, ohne deine liebevoll angefertigten Steampunk-Modelle hätte es diesen Blogbeitrag nie gegeben. Dafür, dass ich in deinem Panoptikum ganz nach Herzenslust experimentieren durfte und für den Spaß, den es mir bereitet hat, dort meine Fotos zu machen, möchte ich dir ganz herzlich danken. Wo immer ich die Wirkung eines deiner Objekte durch meine Art der fotografischen Inszenierung allzu sehr beeinträchtigt oder gar zerstört haben sollte, kann ich zu meiner Entlastung nur anführen, dass ich mich eben in erster Linie mit Naturfotografie befasse. Dabei komme ich nur höchst selten in die Verlegenheit, meine Motive bunt anzuleuchten oder kräftig einzunebeln. So etwas sähe bei … sagen wir mal … einem Eichhörnchen wohl auch recht eigenartig aus.

Wer mich kennt, der weiß, dass nichts meine fotografische Kreativität mehr anstachelt, als die wohlige Aussicht auf eine anständige warme Mahlzeit. Deshalb gebührt mein Dank auch dir, liebe Astrid, weil ich mich beim Fotografieren immer darauf verlassen konnte, dass genau die am Ende der Fotosession auf dem Tisch stehen würde.

Und noch eine allerletzte Anmerkung

Da ich nur der Fotograf dieser in jeder Hinsicht fantastischen Steampunk-Modelle bin, ansonsten aber über sie und ihre Herstellung so gut wie nichts weiß, bin ich sehr gerne bereit, eventuelle Fragen, Anregungen oder was auch immer, die ihr mir per Mail oder einfach als Kommentar schickt, an Herbert weiterzuleiten.

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