Das richtige Image ist vielleicht nicht alles, aber ohne ein passendes Image ist alles nichts. Falls diese Erkenntnis auch im Vogelreich gelten sollte, dann dürfte der Weißstorch seinen Schnabel diesbezüglich ganz weit vorne haben. Schon seine Bezeichnung in der Fabel als Meister Adebar lässt daran kaum Zweifel aufkommen, leitet er sich doch von den germanischen Begriffen auda für Glück und bera für tragen ab. Es handelt sich beim Hauptdarsteller des heutigen Blogbeitrags also um einen „Träger des Glücks“. Wenn er auch noch von alters her im Ruf steht, die Kinder frei Haus zu liefern, dann kann der Weißstorch doch nur noch der Glücksbringer schlechthin sein.
Da ich im Münsterland lebe, habe ich es nicht weit bis zum Naturzoo Rheine. Dort wird nicht nur den zooeigenen sondern auch frei lebenden Störchen täglich eine Fütterung angeboten. Inzwischen greifen so viele Weißstörche – und auch einige Reiher – darauf zurück, dass sich die wohl größte Storchenkolonie Deutschlands gebildet hat. Ein Teil der Fotos in diesem Blogbeitrag ist dort entstanden.
Wir sehen also, um sein Image muss sich unser Storch definitiv keine Sorgen machen; eher schon um die alltäglichen Notwendigkeiten wie Nestbau, Nahrungsbeschaffung, Partnerschaft und Versorgung der lieben Kleinen. Dabei wollen wir ihn in diesem Beitrag fotografisch begleiten.
Zuerst aber möchte ich gerne mit dem modern gewordenen Vorurteil aufräumen, in Wirklichkeit bringe der Storch gar keine Kinder. Selbstverständlich tut er das, und dafür möchte ich hier zwei Belege anführen, die jedem noch so harten Faktencheck standhalten:
- Bereits 1884/85 fertige Carl Spitzweg sein Bild „Der Klapperstorch“ an, in dem er sehr detailliert die Anlieferung eines Babys durch einen Weißstorch dokumentierte.
- Studien haben ergeben, dass die Zahl der Babys in Niedersachsen in den Jahren 1970 bis 1985 prozentual ebenso stark abnahm wie die Zahl der Störche.
Nun aber zurück zum Alltag unserer Weißstörche, wenn sie gerade nicht mit Babylieferungen beschäftigt sind:
Standortwahl und Horstbau
Das Männchen trifft meist vor dem Weibchen im Brutgebiet ein. Wenn eben möglich, beziehen Weißstörche nach der Rückkehr aus der Südhälfte Afrikas bei uns wieder den Horst vom Vorjahr. Sollte der schon besetzt sein, dann kann es zu heftigen Kämpfen kommen. Weniger aus Treue zum Partner als aus Treue zu ihrem Nest finden auf diese Weise in jedem Frühjahr meist wieder jene zwei Störche zusammen, die auch in den Vorjahren schon ein Paar gebildet und hier ihre Jungen aufgezogen haben. Im Grunde ist das also wie bei so manchem Ehepaar, das abends mehr aus Gewohnheit als aus inniger Zuneigung in die gemeinsame Wohnung zurückkehrt.
Haben die Paare nach der Rückkehr wieder zusammengefunden, dann wird fleißig am Vorjahresdomizil repariert und gebaut. Im Laufe der Jahre kann so ein Storchenhorst dann eine wirklich beeindruckende Größe und ein Gewicht von bis zu zwei Tonnen (!) erreichen. Kein anderer Vogel in Europa baut ähnlich mächtige Nester.
Falls hingegen der Neubau eines Horsts ansteht, dann muss genau erwogen werden, in welcher Gegend man denn wohnen möchte. Weniger wichtig sind dabei die schöne Aussicht und der eigentliche Bauplatz. Hausdächer sind ebenso willkommen wie Bäume, Strommasten oder Felsen. In Spanien habe ich sogar gesehen, das Weißstörche ihre Nester auf den quer über die Autobahn angebrachten Trägern der Hinweisschilder errichtet hattet. Weißstörche sind eben echte Kulturfolger. Was bei der Auswahl des Standorts vor allem zählt, ist die Verfügbarkeit von Nahrungsquellen im Umkreis weniger Kilometer. Besonders wenn die Jungstörche hungrig sind, dann können sich die Storcheneltern lange Flüge zu den Nahrungsgründen nicht leisten.
Dabei sind die Ansprüche an die Ernährung nicht einmal besonders hoch. Als Nahrungsopportunisten sind Weißstörche da ziemlich flexibel. Ob Maus oder Fisch, ob Wurm oder Insekt, gerne auch Eidechse, Schlange oder Frosch – all das und manches mehr lässt sich unser Weißstorch gerne schmecken. Die besten Reviere sind deshalb für ihn offene oder halboffene Landschaften mit extensiv genutztem Grünland, Feuchtwiesen sowie natürliche Flussauen.
Durch Trockenlegen von Feuchtgebieten, die Umwandlung von Wiesen in Felder und die Begradigung oder gar Kanalisierung von Flüssen sind aber gerade diese Landschaftsformen bei uns im vergangenen Jahrhundert mehr und mehr verschwunden. In der Folge nahm die Zahl der Brutpaare deutlich ab und der Bestand an Weißstörchen brach gehörig ein. Seit einigen Jahren konnte dieser negative Trend in manchen Regionen Deutschlands durch geeignete ökologische Maßnahmen umgekehrt werden, während es in anderen Gegenden weiterhin abwärts geht.
Partnerschaft und Jungenaufzucht
Haben sich dann erst einmal die alten oder auch neue Paare gefunden, dann gehört Klappern bei den Weißstörchen nicht nur zum Handwerk. Auch die Paarbindung wird nun durch gemeinsames Klappern verstärkt und gefestigt. Und selbstverständlich begrüßt man sich nach jedem Ausflug am Horst wieder mit eifrigem Geklapper. Seinen Spitznamen Klapperstorch trägt dieser Vogel also mit Fug und Recht.
Wenn Männchen und Weibchen ihre Beziehung dann auf die beschriebene Weise genügend vertieft haben, dann kommt es zur Paarung. Ist man als Naturfotograf indiskret genug, dabei zuzusehen oder gar Fotos zu machen, dann erlebt man, welche akrobatischen Fertigkeiten eine solche Kopula den Störchen abverlangt. Die langen Beine und der hohe Körperschwerpunkt gereichen vor allem dem Männchen dabei ganz und gar nicht zum Vorteil.
Wurde diese durchaus anspruchsvolle Übung dennoch erfolgreich gestaltet, dann legt das Weibchen meist drei bis fünf Eier, die von beiden Partnern bebrütet werden. Nach gut einem Monat schlüpfen die Jungen, die dann noch einen weiteren Monat stets von einem Elternteil bewacht werden. In dieser Zeit fressen und wachsen die Jungstörche sehr ordentlich. Bereits nach zwei Monaten sind sie dann flügge. Weitere zwei bis drei Wochen bringen die Eltern ihnen noch Nahrung, bis die Jungvögel nach etwa zweieinhalb Monaten selbstständig sind.
Etwa 7 bis 14 Tage vor den Eltern machen sich die Jungvögel dann auf ihre erste Reise in die Überwinterungsgebiete südlich der Sahara. Dort bleiben sie die nächsten drei bis fünf Jahre. Erst mit Entwicklung der Geschlechtsreife kehren sie zum ersten Mal in ihr Nistgebiet zurück. Mit Horstbau, Partnersuche und Jungenaufzucht beginnt der Kreislauf der Natur von vorne. Da so ein Weißstorch bis zu 35 Jahre alt werden kann, wird er uns nun mit etwas Glück in jedem Frühjahr erneut mit seinem Geklapper begrüßen.
Als Folge der Klimaerwärmung entscheiden sich übrigens immer mehr Störche, sich die lange Reise ins südliche Afrika zu sparen und z.B. auf der iberischen Halbinsel oder in Nordafrika zu überwintern. Das spart eine Menge Energie und man hat deutlich größere Chancen, den eigenen Horst aus dem Vorjahr noch unbesetzt vorzufinden, wenn man wegen der kürzeren Rückreise eher im Brutgebiet eintrifft.
Es gibt auch bereits Störche, die auf den Flug in den Süden gleich ganz verzichten und in ihren Brutgebieten bei uns überwintern. Wenn sie nur genügend Futter finden, scheint ihnen die Kälte nicht viel auszumachen.
Aber selbst, wenn wir uns in ein paar Jahren vielleicht nicht mehr in jedem Frühling über die Rückkehr der Störche freuen werden, weil sie wegen der dann wärmeren Winter ganzjährig bei uns bleiben: Meister Adebar ist und bleibt gewiss einer unserer beliebtesten Vögel, eben ein echter Träger des Glücks. Für dieses Glück müssen wir nicht mehr tun, als extensiv genutzte Wiesen und die letzten Feuchtgebiete für ihn und uns zu bewahren. Wie schön es doch wäre, wenn uns das gelänge.