Durch die Blume

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Tipps & Tricks

Ich wohne zwar seit einer halben Ewigkeit nicht mehr dort, aber aufgewachsen bin ich im Ruhrgebiet. Da wurde Tacheles geredet, geradeheraus, ohne diplomatische Winkelzüge. Es ist also nicht wirklich in meiner DNA angelegt, vorsichtig und mit allergrößter Zurückhaltung durch die Blume zu sprechen. Im Gegensatz dazu macht es mir aber immer wieder viel Freude, durch die Blume(n) zu fotografieren.

Nehmen wir einmal an, ich möchte eine schöne Blüte möglichst ansprechend in Szene setzen. Dann muss ich auf irgendeine Weise dafür sorgen, dass sie in meinem Foto für jedermann erkennbar die Hauptrolle spielt. So weit, so gut. Leider haben sehr viele Blüten aber die für uns Fotografen unpraktische Angewohnheit, nicht einzeln, sondern gleich in Gruppen zu sprießen. Wie soll ich mir da eine herauspicken? Und wie kann ich ihren vielen Konkurrentinnen klarmachen, dass ich ihnen lediglich eine Nebenrolle zugedacht habe?

Dabei sind die Nebenrollen ja keineswegs unwichtig. Denken wir nur ans Theater: Auf der Bühne bieten sie die willkommene Gelegenheit, zusätzliche Facetten, die in den Hauptfiguren nicht abgedeckt werden, ins Spiel zu bringen. Zum anderen lässt oft erst das Zusammenspiel mit ihnen die Hauptdarsteller so richtig glänzen.

Mit ganz ähnlichen Aufgaben betraue ich in meinen Blumenfotos gerne einige jener Blüten, die es beim Casting nicht in die Hauptrolle geschafft haben. Als mitfühlender Regisseur verbanne ich diese weniger glücklichen Exemplare meistens nicht einmal in den Hintergrund. Ganz im Gegenteil. Bei mir bekommen sie oft sogar ausgesprochen prominente Plätze: Sie dürfen ihre Rolle direkt vor der Kamera spielen.

Was bedeutet das alles jetzt in der Praxis? Nun, bleiben wir zuerst einmal bei meiner Hauptdarstellerin. Meistens suche ich mir für diese Rolle eine besonders schöne Blüte aus oder eine, die am besten verkörpert, was ich mit meinem Bild vermitteln möchte. Es muss dabei nicht immer um das Naheliegendste, nämlich ihre Schönheit gehen. Blüten können ja auch für Vergänglichkeit, Zartheit, Zerbrechlichkeit stehen.

Als Nächstes wähle ich dann eine Kameraposition, von der aus ich mein Hauptmotiv durch die als Nebendarstellerinnen eingesetzten Blüten hindurch fotografieren kann. Mehr Kontrolle bietet mir dabei ein Stativ; aus der Hand bin ich jedoch wesentlich flexibler bei der Wahl des Bildausschnitts. Wenn ich beides gegeneinander abwäge, dann ist mir die Flexibilität in den meisten Fällen – aber nicht immer – wichtiger. Es mag aber auch sein, dass ich einfach nur zu bequem bin, ständig ein Stativ mit mir herumzuschleppen.

Durch die Wahl von Blende, Brennweite und Entfernung zu den Blüten im Vordergrund kann ich deren Größe und (Un-)Schärfe im Bild bestimmen. Wenn ich die Blende weit genug öffne und meinen als Vordergrund dienenden Nebendarstellerinnen dicht genug auf die Blütenblätter rücke, dann werden diese nur noch als unscharfe, farbige Flächen abgebildet. Daraus ergeben sich jetzt zwei Möglichkeiten, die beide ihren Reiz haben:

Variante 1: Unscharfe Blüten als Rahmen

Die erste Variante könnt ihr euch vorstellen wie einen klammheimlichen Beobachter am Schlüsselloch: Ich richte meine Kamera so aus, dass ich die als Hauptmotiv dienende Blüte durch eine kleine Lücke zwischen den Blumen im Vordergrund aufnehme. Meine Hauptdarstellerin wird dadurch von ihren unscharf abgebildeten Artgenossinnen sehr hübsch eingerahmt.

Der besseren Verständlichkeit wegen habe ich es bisher so beschrieben, als sei mein Hauptmotiv stets nur eine einzige Blüte und als bildete sie darüber hinaus auch den einzigen scharf abgebildeten Bereich im gesamten Foto. In der Praxis lege ich die Farbkreise der unscharfen Blumen im Vordergrund aber oft nur über einen Teil des Fotos. In dem Fall bleiben neben dem Hauptmotiv noch weitere Elemente scharf und klar erkennbar. Außerdem engagiere ich manchmal auch gleich mehrere Blüten als meine Hauptdarsteller. Das alles entscheide ich ganz spontan, je nachdem, wie es mir am besten gefällt.

Variante 2: Unscharfe Blüten als Schleier

Nicht selten verzichte ich auf das oben beschriebene Guckloch und fotografiere dann buchstäblich „durch die Blume“. An Stelle des Rahmens erzeuge ich auf diese Weise einen diffusen Schleier vor dem Hauptmotiv. Auch hier hängt wieder alles von Blende, Brennweite und Entfernung der Kamera zu den Blüten im Vordergrund ab. Der Schleier soll einerseits deutlich erkennbar, aber andererseits natürlich nicht komplett blickdicht sein. Und selbstverständlich muss er nicht immer das gesamte Bild überlagern.

Bei dieser Variante fällt es mir noch ein wenig schwerer, die Bildwirkung schon vorab einzuschätzen. Selbst am Monitor der Kamera erkenne ich sie oft nicht so genau. Vorsichtshalber mache ich in dem Fall lieber ein paar Aufnahmen mehr. Zu Hause kann ich dann in aller Ruhe die gelungensten Fotos am großen Bildschirm auswählen und anschließend bearbeiten. Lightroom ist dabei mein bester Freund, denn ohne ein wenig optische Verstärkung oder Abschwächung des Schleiers geht es meistens nicht.

Spielen als Erfolgsrezept

Eine exakte Gebrauchsanleitung für diese Art von Bildern kann ich beim besten Willen nicht geben. Ich weiß ja selbst nie so ganz genau, was letztlich dabei herauskommt. Meine Erfahrungen möchte ich aber dennoch kurz zusammenfassen:

  • Ein Makroobjektiv muss nicht sein, kann aber helfen.
  • Längere Brennweiten funktionieren meistens besser.
  • Wind erschwert die Sache erheblich, vor allem bei der Schlüsselloch-Variante.
  • Schatten ist in aller Regel dem direkten Sonnenschein vorzuziehen.
  • Ein Stativ kann helfen, aber es schränkt die Flexibilität erheblich ein.
  • Es lohnt sich, ein paar Aufnahmen mehr zu machen, um später die besten auszuwählen.

Mein wichtigster Tipp aber lautet:

  • Einfach mal mit der Kamera spielen und alles Mögliche ausprobieren. Und danach noch mehr spielen und noch mehr ausprobieren. Es kostet ja nichts. Wir können also nur gewinnen.

Vorteile und Grenzen dieser Art der Fotografie

Die beschriebenen Vorgehensweisen ermöglichen mir immer mal wieder etwas andere, im Idealfall emotionalere Blumenbilder. Ein eher praktischer Vorteil ist die Möglichkeit, auf diese Weise weniger schöne oder zu unruhige Hintergründe geschickt kaschieren zu können. Außerdem ist es oft sehr hilfreich, lange unattraktive Stängel von an sich hübschen Blumen einfach hinter dem unscharfen Vordergrund verschwinden zu lassen.

Übrigens muss das Hauptmotiv keinesfalls immer eine Blume sein. Wie wär’s mal mit Pilzen, Insekten, Vögeln, Fröschen… Und auch als Nebendarsteller im Vordergrund eignen sich selbstverständlich nicht nur bunte Blüten. Ich verwende dafür auch gerne einmal die Blätter eines Laubbaums, Gräser oder Beeren.

Aber Vorsicht, wie alle Effekte nutzt sich auch dieser recht schnell ab. Man sollte ihn besser nur sparsam einsetzen. Es ist also ganz gewiss kein Nachteil, wenn wir noch ein paar weitere fotografische Techniken für ungewöhnliche Blumenfotos in unserem Werkzeugkoffer haben. Aber darauf werde ich ein andermal zurückkommen.

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