Vor vielen Jahren konnte ich in den Berchtesgadener Alpen bei einer Wanderung auf den Untersberg zu meiner größten Verblüffung einen Geier majestätisch in der Thermik kreisen sehen. Unglaublich ruhig lag er da in der Luft, stieg und stieg, benötigte dazu keinen einzigen Flügelschlag. Angeblich sollte es sich bei ihm um einen Vogel handeln, der im Salzburger Zoo, der damals noch Tiergarten Hellbrunn hieß, gefüttert wurde, aber ansonsten frei in den Alpen umherfliegen durfte. Ich weiß nicht, ob die Geschichte stimmt, aber auf jeden Fall war es für mich ein unvergessliches Erlebnis.
So ist es dann vielleicht kein Zufall, dass mich eine meiner bisher faszinierendsten Fotoreisen in die spanische Extremadura führte, eine Landschaft quasi mit „Geier-Garantie“, aber auch vielen, vielen anderen reizvollen Naturmotiven. Ich kannte eine Menge Fotos aus dieser Gegend, die inzwischen wohl nicht mehr ganz so im Fokus der Naturfotografen (Wortspiel beabsichtigt) liegt, wie das einige Jahre lang der Fall war. Sogar die Naturfotografie und ihre Hotspots sind offenbar Modetrends unterworfen. Aber nicht mehr trendy zu sein, macht eine Landschaft ja nicht weniger reizvoll, allenfalls weniger überlaufen. Mir sollte es jedenfalls recht sein.
Kleiner Einschub: Die Reise ist nun auch schon wieder ein paar Jährchen her, aber in Zeiten der Corona-Pandemie muss man eben von früheren Erlebnissen zehren und auf die Zukunft hoffen. Inzwischen werde ich diesen Blog einerseits mit Beiträgen füttern, die ohne große Reisen auskommen, und andererseits mit Berichten aus der „Vor-Corona-Zeit“. So, nun aber weiter im Text.
Mitte April mietete ich mir ein Wohnmobil, und über Belgien und Frankreich erreichte ich nach knapp 2.500 km am 3. Reisetag mein Ziel in der Extremadura, einen Campingplatz zwischen Plasencia und Trujillo, einige Kilometer nördlich des Parque Natural Monfragüe gelegen. Das Wetter war noch durchaus wechselhaft und nicht allzu warm. Immer mal wieder regnete es auch, allerdings nie längere Zeit am Stück. Der Campingplatz war recht angenehm und um diese Jahreszeit kaum zur Hälfte belegt. Die nette Dame am Empfang versicherte mir, auch in den nächsten 3 Wochen außer an den Wochenenden immer einen freien Stellplatz für mein Wohnmobil zu haben.
So beschloss ich, diesen Platz zum Ausgangspunkt mehrerer Touren durch die Extremadura zu machen. Jeweils nach 3 oder 4 Tagen kehrte ich am Nachmittag dorthin zurück, füllte meinen Wasservorrat auf, entsorgte was zu entsorgen war und brach dann am anderen Morgen zu meiner nächsten Tour auf. Unterwegs richtete ich es dann immer so ein, dass ich an meinen bevorzugten Fotospots am nicht zu späten Nachmittag eintraf. Ich konnte dann dort – meist nach einer kleinen Siesta, schließlich war ich ja in Spanien – den ganzen Abend und noch ein zweites Mal am frühen Morgen auf Fotopirsch gehen. Es ist schon ein großer Vorteil, mit dem Reisemobil immer genau dort übernachten zu können, wo man auch fotografieren will.
Fotografieren in der Kultursteppe der Serena
Meine erste Tour führte mich in die weite Kultursteppe der Serena im Südosten der Extremadura. Vom Auto aus wirkte die Landschaft auf den ersten Blick sehr karg. Ich war etwas enttäuscht: So hatte ich mir ein Naturparadies nicht vorgestellt. Allerdings übte diese schier endlos erscheinende Weite eine ganz eigenartige Faszination auf mich aus. Irgendwo in der Ferne am Horizont zeichneten sich Bergketten ab, aber bis dahin gab es nichts als offene Graslandschaft soweit das Auge reichte. Nun ja, offen trifft es vielleicht nicht ganz. Auch diese nach deutschen Maßstäben unvorstellbar großen, sehr extensiv bewirtschafteten Weiden waren zumeist eingezäunt. Aber das bemerkte ich erst auf den zweiten Blick, denn faszinierende Landschaft hin oder her, ich musste mich doch ziemlich aufs Fahren konzentrieren.
Die Straßen sind nämlich in dieser extrem verkehrsarmen Gegend sehr schmal, und der seitliche Rand der Asphaltdecke endet fast überall abrupt. Neben dem Asphalt klafft dann ein senkrechter Abgrund. Der ist zwar nur etwa 30 cm tief, aber ein versehentliches Verlassen des Straßenbelags hätte unweigerlich das Umkippen des Wohnmobils zur Folge gehabt. Ausweichstellen sind kaum vorhanden. Zum Glück kamen mir nur äußerst selten Autos entgegen, denn mit dem Wohnmobil mal eben ein paar Hundert Meter zurückzusetzen ist auf solchen Straßen kein besonderes Vergnügen.
Erst hatte ich noch Skrupel, aber bald gewöhnte ich mich daran, zum Fotografieren mitten auf der Straße anzuhalten. Es gab einfach kilometerweit keine anderen Möglichkeiten. Einmal blieb ich so mehr als eine Stunde stehen, weil ich beim Fahren Rothühner entdeckt hatte, die ich unbedingt fotografieren wollte. In dieser ganzen Zeit kam nicht ein einziges Auto vorbei. Kein Problem also, dass ich die Straße blockierte. Leider glänzten nicht nur andere Autos durch Abwesenheit. Auch kein einziges Rothuhn ließ sich mehr blicken. Zu der Zeit wusste ich noch nicht, dass dies zum Trauma meiner Reise werden würde. Vom fahrenden Auto aus sah ich diese hübschen Vögel immer und immer wieder. Hielt ich jedoch an, um sie zu fotografieren, dann flitzten (ja, sie sind wirklich sehr flott zu Fuß unterwegs) sie unverzüglich davon und tauchten auch nicht wieder auf, ganz gleich, wie lange ich wartete. Wahrscheinlich hielten sie sich in ihren Verstecken die Bäuche vor Lachen, wieder einmal einen trotteligen Naturfotografen ausgetrickst zu haben. War dieser Roadrunner in den Comics meiner Jugend nicht auch ständig darauf aus, jemanden hereinzulegen?
Ein anderes Wunschfoto sollte mir dann aber doch gelingen. Da es so wenige Anhaltemöglichkeiten gab, hatte ich mir inzwischen angewöhnt, bei jeder sich doch einmal bietenden Gelegenheit auf jeden Fall stehenzubleiben, auszusteigen und nach Fotomotiven Ausschau zu halten. Fast immer hatte die auf den ersten Blick so karge Landschaft dann weitaus mehr zu bieten, als man vermuten würde. Wieder einmal stand ich mit meinem Wohnmobil an einer geeigneten Stelle und war gerade dabei, mir einen Tee zu kochen. Etwas weiter entfernt sah ich sehr schnell fliegende und ruckartig die Flugrichtung wechselnde Vögel. Ein Blick durchs Fernglas bestätigte meinen Verdacht: Es handelte sich um zwei Bienenfresser.
Mir war klar, dass ich wohl kaum zu einem brauchbaren Foto von ihnen käme, wenn ich jetzt meine Kamera schnappen und hektisch aus dem Auto springen würde. Also habe ich erst einmal meinen Tee getrunken und die Bienenfresser in Ruhe beobachtet. Meist flogen sie herum, für kurze Momente setzten sie sich auf einen Zweig, immer wieder verschwanden sie auch für eine Weile. Bald erkannte ich ein Muster: Dieses Paar jagte über der Wiese vor meinem Wohnmobil Insekten und unterbrach diese Jagd hin und wieder für eine kurze Rast auf immer demselben dürren Zweig. Nach etwa 10 Minuten verließen sie den Bereich, den ich überschauen konnte, und tauchten 20 Minuten später erneut auf. Das Ganze begann von vorne. Man konnte fast die Uhr danach stellen.
Als die beiden Bienenfresser ein weiteres Mal verschwanden, baute ich in ihrer Abwesenheit unter einem Baum auf der Wiese mein Stativ auf und richtete die Kamera mit dem Teleobjektiv auf ihren Ruhezweig aus. Da ich leider keinen Funkfernauslöser eingepackt hatte, blieb mir nichts anderes übrig, als mich hinter die Kamera zu stellen und zu hoffen, dass meine Anwesenheit die beiden Jäger nicht verscheuchen würde. Pünktlich nach 20 Minuten kamen die hübschen Vögel zurück. Sie führten erst einmal ein paar Aufklärungsflüge durch. Offenbar hatten sie mich sofort bemerkt. Schließlich wurde ich dann wohl für harmlos befunden. Jedenfalls nahmen sie bald ihre übliche Insektenhatz wieder auf. Jetzt wartete ich gebannt auf die nächste Ruhepause. Und tatsächlich, exakt da, wo ich es erwartet hatte, ließ sich bald der erste Bienenfresser nieder; der zweite Vogel gesellte sich dann ein paar Momente später zu ihm. Ich konnte mehrere Fotos von ihnen machen, bevor sie wieder abflogen. Wie hieß es doch immer am Ende einer beliebten Fernsehserie: „Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert.“
Übernachtet habe ich dann bei den „Hundezähnen“, einer weiten, von spitzen Felsbrocken gespickten Graslandschaft. Fast alle Felsen sind recht malerisch von gelben Flechten überzogen. Diese karge Steppe mit den von Flechten weithin leuchtenden Felsen wirkt je nach Lichtstimmung mal freundlich, mal fast bedrohlich. Unmittelbar bei den Hundezähnen fand ich am Straßenrand eine Parkmöglichkeit für mein Wohnmobil. Besser geht’s nicht.
Den Abend widmete ich dann ganz der Hundezahn-Fotografie. Zum Sonnenuntergang zogen noch einmal, wie schon mehrfach am Nachmittag und Abend, recht dunkle Wolken auf. Erst beachtete ich sie kaum. Doch innerhalb weniger Augenblicke ergaben die Wolken und die untergehende Sonne eine Lichtstimmung, wie ich sie wohl noch nie erlebt hatte. Die ganze Landschaft wurde in ein beinahe unwirkliches, rot-violettes Licht getaucht. Nur wenige Minuten blieb es so. Dann verdunkelte sich der Himmel so sehr, dass es beinahe wie Nacht wirkte. Ein gewaltiges Gewitter begann. Es donnerte. Es blitzte. Es goss in Strömen. Natürlich hatte ich bis zum letzten Moment fotografiert, so dass ich patschnass geworden war. Nun aber saß ich mit einem heißen Tee gemütlich im Wohnmobil und schaute mir das Spektakel von dort aus an.
Nach einer absolut stillen Nacht, vermutlich mehrere Kilometer vom nächsten menschlichen Wesen entfernt, öffnete ich am Morgen die Wohnmobiltüre, um frische Luft und die ersten Sonnenstrahlen hereinzulassen. Beim Frühstück im Wagen (für draußen war es doch ein wenig zu kalt) konnte ich sehen, dass sich immer wieder kleinere Vögel auf die Spitzen verschiedener Hundezähne setzten, um von dort aus einen besseren Überblick über ihr Jagdrevier zu haben. Eine Regelmäßigkeit in dem Sinne, dass bestimmte Vögel immer wieder dieselben Felsen anflogen, konnte ich allerdings nicht erkennen.
Für alle Fälle stellte ich aber dennoch meine Kamera im Wohnmobil aufs Stativ und richtete sie so aus, dass ich durch die geöffnete Türe die Spitze des nächstgelegenen Hundezahns und entsprechend Freiraum nach oben im Sucher hatte. Danach widmete ich mich erneut meinem Frühstück. Zu meiner großen Überraschung dauerte es nicht lange, bis sich eine Theklalerche mit Frühstück im Schnabel in optimaler Position exakt an die von mir anvisierte Stelle setzte. Von hunderten freien Felsen suchte sie sich freundlicherweise genau jenen vor der Tür meines Wohnmobils aus, auf den meine Kamera gerichtet war. Vielleicht träumte sie ja von einer Karriere als Model. So hatte ich, obwohl kaum aus den Federn, mein Foto des Tages bereits im Kasten. Naturfotografie für Faulpelze – genau mein Ding.
Die Dehesas, ein Paradies für Naturfotografen
Dehesas stellen eine typische und uralte Form der landwirtschaftlichen Nutzung in der Extremadura dar. Es handelt sich dabei um eine Acker- und mehr noch Weidewirtschaft, die unter Stein- und Korkeichen betrieben wird. Die Bäume stehen zumeist recht weit auseinander; unter und zwischen ihnen wachsen jährlich wechselnde Futterpflanzen. Gerade zur Blüte im zeitigen Frühjahr finden nicht nur die Tiere hier ihr kleines Paradies. Auch für Naturfotografen erweisen sich die Dehesas dann als schier unwiderstehlich.
Mehr noch als die oft herrlich knorrigen Steineichen sind ihre Verwandten, die Korkeichen, ein recht ungewöhnlicher Anblick für uns Mitteleuropäer. Alle neun bis zwölf Jahre werden sie zur Korkgewinnung geschält. Vor allem in der ersten Zeit danach fällt ihr rostroter Stamm ins Auge. Die Farbe erhält er durch Gerbstoffe, mit denen sich die Eiche vor Parasiten schützt.
Der ökologische Wert dieser extensiv genutzten Dehesas ist enorm. Heerscharen von Insekten, Reptilien und Vögeln profitieren von dieser Form der Bewirtschaftung. Selbst im Winter werden noch zigtausende Kraniche satt, die hier genügend liegen gebliebene Eicheln finden.
Ihr fragt Euch vielleicht, wo zum Geier denn nun die angekündigten Geier bleiben. Tja, in der Serena sind sie mir tatsächlich nicht begegnet, und in den Dehesas gelangen mir zumindest keine guten Fotos dieser beeindruckenden Vögel. Aber meine Extremadura-Fotoreise ist ja auch noch längst nicht zu Ende. Im nächsten Teil geht es zuerst an den Rio Almonte. Danach nehme ich euch mit in ein ganz außergewöhnliches Storchenrevier in der Nähe von Cáceres. Und selbstverständlich werden wir auch noch die Geier am Castillo Monfragüe besuchen.
Ich würde mich sehr freuen, wenn ihr auch den zweiten Teil meiner Extremadura-Reise lest und anschaut. Aber selbstverständlich könnt ihr gerne schon jetzt den einen oder anderen Kommentar dalassen. Habt ihr vielleicht Tipps, wo es weitere großräumig extensiv genutzte Gebiete mit hoher Artenvielfalt gibt, in denen wir Naturfotografen auf unsere Kosten kommen? Vielleicht sogar in Deutschland oder im angrenzenden Ausland, so dass die Anreise nicht ganz so lang wäre.
Ich bin für jeden Tipp dankbar.
…und hier geht’s mit einem Klick zum Teil 2 meiner Fotoreise in die Extremadura.
Also wenn Du Lust hast, kannst Du Dich gerne bei mir melden. Wir lieben die Extremadura und können vielleicht auch noch ein paar Tipps geben. Weitere Favoriten: Provence, Marokko, Galapagos, Raja Ampat, Bhutan.
Hallo Karl-Uwe,
ich hab‘ erst gar nicht gesehen, dass du beide Folgen meines Extremadura-Artikels kommentiert hast. Die Provence steht tatsächlich auf meiner Wunschliste, allerdings nicht mehr für dieses Jahr. Ich würde mich aber freuen, auf dein freundliches Angebot zurückkommen zu dürfen, wenn es soweit ist.
Herzliche Grüße
Thorwald