Die Rhön hat mich schon immer angezogen. Viele Jahre lebten meine Eltern in Coburg im Norden Bayerns. Wenn ich sie besuchen wollte, dann gab es den schnelleren Weg über die Autobahn oder den sehr viel schöneren „über die Rhön“, wie wir ihn immer nannten. Eine leichte Entscheidung, denn in meinen Augen war diese Mittelgebirgslandschaft stets der Höhepunkt meiner Fahrt vom Münsterland nach Oberfranken.
Auch mit dem Motorrad zog es mich bis vor einigen Jahren immer mal wieder dorthin. Die kurvigen Straßen über meist sanft ansteigende Hügel sind einfach wie fürs Biken gemacht. Nun, dieses Hobby habe ich inzwischen aufgegeben. Leider habe ich nach dem Tod meiner Eltern auch nur noch selten einen Grund, diese Ecke Deutschlands zu besuchen. Umso mehr schien es mir mal wieder dringend an der Zeit, ein paar Tage in der Rhön zu verbringen.

Ich mag diese sanft bergige Landschaft an der Grenze zwischen Hessen, Thüringen und Bayern und damit ziemlich genau in der Mitte Deutschlands. Sie scheint nicht nur geografisch, sondern auch von ihrem Charakter her in der Mitte verankert zu sein: nicht unbedingt spektakulär oder gar aufdringlich, aber auch alles andere als öde und langweilig. Für mich ist die Rhön so etwas wie eine gute, verlässliche Freundin. Selbst wenn man sich lange nicht gesehen hat, ist doch sofort wieder dieses beruhigende Gefühl der Vertrautheit da. Kurz gesagt: Hier fühle ich mich einfach auf Anhieb wohl.

Im September war ich endlich wieder einmal für drei Tage dort. Zum Glück spielte das Wetter wunderbar mit, so dass ich alle meine Pläne für diesen kurzen Besuch auch in die Tat umsetzen konnte. Der höchste Berg Hessens, ein Moor und nicht zuletzt eine beinahe schon alpin anmutende Schlucht spielten darin die Hauptrollen.
Die Wasserkuppe
Gleich am ersten Tag stand die Wasserkuppe auf meinem Programm. Sie ist nicht nur der bekannteste und mit 950 Metern höchste Berg der Rhön, sondern darüber hinaus auch der unterhaltsamste. Dort oben gibt es bei schönem Wetter immer eine ganze Menge zu sehen. Aber dazu komme ich ein wenig später. Zuerst einmal schauen wir uns die Landschaft auf der Wasserkuppe und vor allem um sie herum an.

Fernblicke sind ja immer faszinierend und vom weit und breit höchsten Gipfel natürlich erst recht. Fotografisch hingegen bin ich von solchen Panoramen oft gar nicht so sehr begeistert. Im fertigen Bild wirken sie oft erstaunlich langweilig. Zum Glück kommt mir da die Wasserkuppe sehr entgegen. Mit ein wenig Spürsinn lassen sich hier nämlich Aufnahmepositionen finden, wo ein interessanter Vordergrund wesentlich stimmigere Bilder ermöglicht.



Bei der Suche nach weiteren Ausblicken verstellen mir immer wieder riesige Bestände vom Schmalblättrigen Weidenröschen die Sicht. Heute bläst der Wind recht ordentlich, wobei er abertausende ihrer Samen aufwirbelt. Da jeder einzelne von ihnen mit einem langen Haarschopf bestückt ist, scheint die ganze Luft mit Wattebäuschchen angefüllt zu sein.


So schön Aussicht und Natur auf der Wasserkuppe auch sein mögen, berühmt ist sie für etwas ganz anderes. Bereits seit 1911 gilt sie als Eldorado der Fliegerei. Vor allem die Segelflieger haben diesen Berg zu ihrem Revier gemacht. Daran hat sich bis heute nichts geändert. So werden auch bei meinem Besuch beinahe ohne Unterlass elegante Segelflugzeuge von einem kleinen, etwas pummeligeren motorisierten Kollegen in den blauen Himmel gezogen. Keine Frage, dass dieses Spektakel jede Menge Zuschauer angelockt hat.
Für die wiederum gibt es einige Einkehrmöglichkeiten und darüber hinaus sogar kleine Geschäfte oder Stände, an denen – nun ja – der typische Touristenkram feilgeboten wird. Wie sehr sich das doch alles seit meinem ersten Besuch hier vor vielen Jahren verändert hat! Ich will aber gar nicht darüber jammern. Zwar ist ein Schwätzchen mit den Piloten direkt auf dem Flugfeld heute nicht mehr möglich, aber man ist doch noch immer nah am Geschehen und kann das Treiben bestens verfolgen.





Da die Wasserkuppe sich auch ganz hervorragend für Nachtaufnahmen unter dem hier besonders gut sichtbaren Sternenhimmel eignen soll, komme ich am späten Abend noch einmal zurück. Doch leider haben sich entgegen der Vorhersage allerlei Wolken oder zumindest Dunstschleier gebildet. Ich versuche es zwar dennoch mit ein paar Aufnahmen, aber besonders gut wollen sie mir nicht gelingen. Als Blickfang wähle ich das heutzutage für Veranstaltungen und Hochzeiten genutzte Radom (Radarkuppel). Im Kalten Krieg diente es zur Luftraumüberwachung. Damals standen hier zeitweilig gleich fünf dieser Kugeln.


Das Schwarze Moor
Auch mein zweiter Tag in der Rhön verspricht herrliches Wetter. Sogleich nach dem ersten Tee – ohne einen ordentlichen Darjeeling am Morgen geht bei mir gar nichts – mache ich mich deshalb auf den Weg. Und was für ein Weg das ist!
Über die Hochrhönstraße, die von Bischofsheim bis Fladungen, also von Süden nach Norden die Rhön durchquert, fahre ich zum Schwarzen Moor. Da ich dort nicht zu spät eintreffen will, begnüge ich mich unterwegs damit, die karge, aber herrliche Landschaft hier in den Höhenlagen der Rhön aus dem Auto heraus zu bewundern. Ich nehme mir jedoch fest vor, bei der Rückfahrt am Nachmittag den einen oder anderen Fotostopp einzulegen.

Der riesige, aber weitestgehend leere Parkplatz beim Schwarzen Moor lässt erkennen, welch ein Andrang in der Hauptsaison wohl herrschen mag. Nicht alle, die ihr Auto hier abstellen, werden dies nur wegen des Moores tun. Viele Rhön-Wanderwege kreuzen sich an dieser Stelle, und darüber hinaus verlockt eine modern gestaltete Cafeteria zur Einkehr. Von Kuchen bis Thüringer Bratwurst ist alles zu haben, womit man sich die bei der Wanderung verlorenen Pfunde ruckzuck wieder anfuttern kann.

Mich zieht es aber zuerst einmal ins Schwarze Moor, das man über einen erstaunlich langen Bohlenweg bequem und ohne Schaden an der empfindlichen Natur anzurichten durchwandern kann. Der Startpunkt befindet sich gegenüber der um diese Zeit recht verlassen wirkenden Cafeteria. Zu meinem Glück sind auch im Moor noch nicht viele Besucher unterwegs, so dass ich in aller Ruhe fotografieren und die Natur genießen kann.
Im Gegensatz zu den Mooren bei uns im Norden (Emsland, Diepholzer Moorniederung) führt hier der Bohlenweg erst einmal durch eine Landschaft, die mehr nach Wald als nach Moor ausschaut. Das soll aber nicht heißen, ein Besuch lohne sich nicht. Die zum Teil bizarr gewachsenen Bäume sind ganz im Gegenteil sogar ausgesprochen attraktiv.

Später wird der Wald dann lichter, die Bäume stehen deutlich weiter auseinander, sind auch längst nicht mehr so groß. Schon bald erreiche ich eine Landschaft, wie ich sie auch von anderen Mooren kenne – mit Heidekraut und wassergefüllten Mooraugen. Sogar Sonnentau lässt sich hier finden, aber leider – anders als noch vor Kurzem im Emsland – entweder außerhalb der Reichweite meines Makroobjektivs oder in keinem fotografierenswerten Zustand.


Nach dem Rundgang durchs Moor lasse ich mir bei der oben erwähnten Cafeteria erst einmal eine kleine Brotzeit schmecken. Inzwischen sind deutlich mehr Gäste hier und der Parkplatz füllt sich zunehmend. Wie gut, dass ich so früh vor Ort war.

Der Rückweg führt mich erneut über die Hochrhönstraße. Aber jetzt habe ich genug Zeit und kann immer mal wieder anhalten, um mir die ganz besondere, oft ein wenig karge und doch auch sehr reizvolle Landschaft hier oben in aller Ruhe anschauen. Es versteht sich von selbst, dass ich ein paar Fotos mache. Wirklich vorzeigbar werden die allerdings nicht, denn dafür ist jetzt am frühen Nachmittag das Licht einfach viel zu hart. Nun, man kann eben nicht alles haben.

Ein letzter kurzer Abstecher noch zum idyllisch gelegenen Basaltsee, dann wird es mir für weitere Unternehmungen endgültig zu heiß. Den Rest dieses Tages werde ich mit einem guten Buch im Schatten jener Apfelbäume verbringen, unter denen mein kleiner Wohnanhänger einen herrlichen Stellplatz gefunden hat.


Die Kaskadenschlucht
Mein dritter und damit letzter Tag in der Rhön verspricht, noch heißer als seine beiden Vorgänger zu werden. Für mich ist so ein Versprechen allerdings eher eine Drohung. Mit Kälte habe ich selten Probleme, doch diese Hitze macht mich träge. Aber ich habe noch einen Trumpf in der Hand: die Kaskadenschlucht bei Gersfeld.


Ich breche recht früh am Morgen auf und erreiche schon bald einen um diese Zeit noch gänzlich unterbeschäftigten Wanderparkplatz am Eingang zur Schlucht. Von hier aus wandere ich dann, froh darüber, dem Wetter ein Schnippchen geschlagen zu haben, immer an einem kleinen Bach entlang durch den schattigen Wald bis ich am oberen Ende der Schlucht in eine offene und entsprechend heiße Wiesenlandschaft gelange. Grund genug für mich, auf der Stelle kehrtzumachen und wieder in den kühlen Wald einzutauchen.

Möglicherweise sollte ich an dieser Stelle zwei kleine Richtigstellungen einschieben, schon um allen feixenden Kommentaren zuvorzukommen:
Erstens ist die Kaskadenschlucht vielleicht keine so ganz richtige Schlucht, jedenfalls keine solche, wie man sie aus den Alpen kennen mag. Aber ich habe mir ihren Namen ja nicht ausgedacht. Zweitens präsentiert sich der Bach bei meinem Besuch eher als ein mittleres Rinnsal. Die vielen Bäume im Bachbett lassen aber unschwer erkennen, dass dieses vermeintlich so harmlose Rinnsal immer mal wieder zu einem reißenden Ungetüm mutiert.


Und noch ein weiteres Bekenntnis: Meine ganze Wanderung beträgt hin und zurück gerade einmal gute drei Kilometer. Aber was besagt denn schon die reine Länge der Wegstrecke, wenn ich doch alle paar Meter für ein Foto anhalten muss? Wie im Flug vergeht dabei die Zeit. Als ich nach mehreren Stunden wieder beim Auto ankomme, quillt der am Morgen noch völlig verwaiste Wanderparkplatz über vor Autos. Das gibt mir die Gelegenheit für meine gute Tat des Tages: Eine junge Familie, die wohl schon eine ganze Weile darauf gewartet hat, dass endlich jemand wegfährt, freut sich über die frei werdende Parklücke.

Apropos wegfahren: Damit gehen nun auch meine drei Tage in der Rhön zu Ende. Sie waren ausgesprochen abwechslungsreich. Ich hatte jedenfalls eine Menge Fotospaß. Und das Beste: Da die Rhön zum Glück fast genau in der Mitte unseres Landes liegt, werde ich ganz sicher immer mal wieder dorthin kommen. Wie schön!