Vincent van Gogh hat eine ganze Serie von Sonnenblumen-Bildern gemalt und auch von Edvard Munchs berühmtem Gemälde „Der Schrei“ gibt es mehrere leicht unterschiedliche Versionen. Wenn sich diese großartigen Künstler nicht zu schade dafür waren, immer wieder aufs Neue an ihren bereits bewährten Motiven zu arbeiten, warum sollte ich dann Hemmungen haben, mehr als nur ein einziges Foto aus meinen Motiven herauszuholen?

Von der Kunst des Absichtslosen
Die meisten Besucher findet man im Zoo stets vor den Gehegen der Schimpansen. Wir schauen ihrem Treiben zu und finden sie oft zum Lachen komisch; wohl vor allem, weil sie dabei den Eindruck erwecken, ständig mit höchst wichtigen Dingen beschäftigt zu sein. Was aber, wenn Außerirdische zu Besuch auf die Erde kämen und uns eine Weile beobachteten? Ich bin mir sicher, sie müssten ebenfalls lauthals lachen. Es ist ja auch zu komisch, wie dieser Homo sapiens auf seinem kleinen blauen Planeten bis hin zur Erschöpfung (seiner eigenen und der des Planeten) herumwuselt. Nicht einmal in der Freizeit gelingt es ihm, damit mal aufzuhören, wuselt weiter und immer weiter. Zu allem Überfluss schimpft er dann anschließend über diesen fürchterlichen Freizeitstress. Ach, wie werden unsere Außerirdischen sich die Bäuche halten vor Lachen!

Ganz im Ernst: Lasst uns diesem rastlosen Höher, Schneller, Weiter doch zumindest in unserer Freizeit mal für ein paar Stündchen ein bewusstes Innehalten entgegensetzen. Manche nennen es „zur Ruhe kommen“, andere sprechen von „Entschleunigung“. Das spielt keine Rolle, wichtig ist einfach nur, der Tretmühle für eine Weile zu entkommen. Am besten gelingt das, wenn wir Zeit in der Natur verbringen oder bei der Ausübung eines kreativen Hobbys. Die Naturfotografie erlaubt es mir, beides auf geradezu ideale Weise miteinander zu verbinden. Die Betonung liegt da eindeutig auf dem Wort kreativ. Einfach nur mal so nebenbei ein paar schnelle Fotos zu machen, das ist sicher nicht die Lösung, im Gegenteil.

Kreativität sollte stets etwas Absichtsloses, etwas Spielerisches haben. Bei mir ist das immer dann der Fall, wenn das Fotografieren im Vordergrund steht, nicht das fertige Bild. Damit das gelingen kann, muss ich mir Zeit nehmen, darf nicht von einem Motiv zum nächsten hetzen. Aber wenn ich mich für längere Zeit auf ein Motiv einlasse, es mit der Kamera umrunde, unterschiedliche Blickwinkel und Brennweiten ausprobiere, mit den Einstellungen der Kamera spiele, dann vergesse ich oft alles andere um mich herum. Man bezeichnet diesen Zustand gerne als „im Flow sein“ – und ich finde, das trifft es ganz gut.

…einfach nur Tulpen
Heute bin ich für diese spielerische Art der Fotografie mal nicht weiter gegangen als nur bis in unseren eigenen Garten. Jetzt im Frühjahr beginnt es dort in jedem Winkel ganz herrlich zu blühen und zu brummen. Aber anstatt mich von diesem überreichen Angebot verführen zu lassen, habe ich mir für die Fotos zu diesem Blogbeitrag ganz bewusst ein sehr alltägliches Motiv ausgesucht: Tulpen – einfach nur Tulpen.



Das mag auf den ersten Blick wohl überraschen, aber einmal abgesehen davon, dass ich Tulpen wirklich sehr gerne mag, wollte ich heute einfach einmal ausprobieren, was mir so eine Allerweltsblume an fotografischen Möglichkeiten zu bieten haben könnte. Übrigens hätte dafür schon eine einzige Tulpe gereicht, aber ein gewisses Mindestmaß an Abwechslung wollte ich hier dann doch bieten.

Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass sich meine Kreativität durch nichts mehr anregen lässt, als durch eine strikte Selbsteinschränkung. Ich nutze das immer mal wieder sehr gerne, um fotografisch „in Gang zu kommen“. Mal beschränke ich mich dabei auf eine einzige Brennweite, mal mache ich alle Fotos mit einer fest eingestellten (meist etwas längeren) Belichtungszeit, dann wieder konzentriere ich mich voll und ganz auf abstrakt wirkende Aufnahmen und so weiter. Tja, und heute geht es eben darum, mich mit nur einem einzigen Motiv, den Tulpen, zufrieden zu geben.


Das Wichtigste, aber auch das Schwierigste dabei ist es, dem Kritiker im eigenen Kopf für die Zeit des Fotografierens den Mund zu verbieten. Mucksmäuschenstill hat er zu sein. In solchen Momenten geht es mir nämlich gar nicht um die Ergebnisse, also die fertigen Bilder, sondern um den Prozess als solchen. Anders ausgedrückt: Hier ist der Weg das Ziel. Ich folge einfach meiner Intuition, genieße diesen spielerischen Ansatz, überlege nicht viel, sondern mache einfach.

Erst zu Hause beim Betrachten der Bilder am großen Monitor ist Kritik wieder gefragt. Da erlebe ich dann auch die eine oder andere Überraschung. Schon so manches Foto, bei dem ich vor Ort eigentlich ein gutes Gefühl hatte, wanderte in den Papierkorb. Aber auch das Gegenteil ist nicht selten der Fall: Immer wieder erlebe ich es, dass sich eine Aufnahme als Volltreffer erweist, von der ich mir überhaupt nichts versprochen hatte.


Absichtslos, aber nicht ohne Biss
So ergiebig dieser spielerische Umgang mit meinen Motiven auch sein mag, lässt sich mit etwas Biss meistens noch ein wenig mehr herausholen. Dafür hat es sich als ideal erwiesen, wenn ich nach einer ganzen Weile des absichtslosen Experimentierens doch mal innehalte, um einen schnellen Blick auf die Aufnahmen zu werfen. Fast immer sind einige darunter, die mir spontan besonders gut gefallen. Die nehme ich mir dann gerne zum Ausgangspunkt, um anschließend ihre Bildidee aufzugreifen und damit aufs Neue nach Herzenslust zu spielen. So entstehen Bild um Bild etliche weitere Abwandlungen meiner Favoriten.


Ganz ähnlich habe ich es auch mit den Tulpen im heutigen Blogbeitrag gehalten. Bei der ersten Durchsicht gefielen mir neben den eher klassischen Aufnahmen besonders die folgenden Varianten:
- Doppelbelichtungen in der Kamera, eine davon defokussiert
- Aufnahmen mit bewegter Kamera
- Detailaufnahmen
- High-Key-Fotos
- Abstraktionen


Und damit ist das Spektrum möglicher Varianten noch längst nicht ausgereizt. Aber ich denke, ihr merkt schon, worauf ich hinaus will: Wenn man erst einmal ein gutes Motiv aufgetan hat, dann lohnt es sich in aller Regel, ihm mehr als nur eine einzige Aufnahme zu widmen. Die Chancen auf sehenswerte Bilder sind damit so gut wie nie erschöpft – also sollten wir es besser auch nicht sein. Unterschiedliche Varianten auszuprobieren, das lohnt sich nahezu immer, selbst dann, wenn es sich bei dem Motiv um so etwas Alltägliches wie Tulpen handelt.
