Malerischer Raureif

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Schmökern

Der Winter hier im Münsterland kann empfindlicheren Gemütern, zu denen ich mich allerdings nicht zähle, manchmal ganz schön auf die Nerven gehen. Die letzten Tage (oder eher schon Wochen) haben das einmal mehr gezeigt: Eine winterlich ohnehin schon sehr karge Natur, darüber ständig dieser triste, graue Himmel, permanenter Nieselregen, Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt. Ich gebe es zu, bei so einem Wetter verspüre ich kein allzu großes Bedürfnis, meine Kamera Gassi zu führen.

Andererseits will das Glaslinsenspiel auch jetzt mit Bildern gefüttert werden, und ich habe noch keine einzige Aufnahme für den nächsten Blogbeitrag gemacht. Kritisch bis missmutig schaue ich mir jeden Abend die lokale Wettervorhersage für den nächsten Tag an, immer mit dem gleichen deprimierenden Ergebnis: kalt, feucht, grau in grau. Dann aber sieht es so aus, als ob ich doch noch eine Chance bekommen sollte. Heute hatten wir wieder einmal ergiebige Niederschläge, wie es im Wetterbericht immer so schön heißt. Für die Nacht und bis weit in den nächsten Morgen hinein sind moderate Minustemperaturen vorhergesagt. Mit ein wenig Glück könnte sich also Raureif bilden. Darüber hinaus soll es für morgen Vormittag sogar Hoffnung auf ein paar Lücken in der Wolkendecke geben.

Am nächsten Tag stehe ich in aller Frühe auf und kann es gar nicht abwarten, einen Blick aus dem Fenster zu werfen. Und tatsächlich: Der Himmel ist zwar bewölkt, aber immerhin nicht komplett bedeckt. Es sieht also ganz danach aus, als ob ich heute mit ein paar Sonnenstrahlen rechnen dürfte. Der Clou des Ganzen: Meine Hoffnung hat sich erfüllt; alles ist absolut malerisch von Raureif bedeckt.

Schon lange hatte ich mir vorgenommen, einmal die attraktive Teichlandschaft des „Europäischen Vogelschutzgebiets Rieselfelder Münster“ zu fotografieren, und heute könnte genau der richtige Tag dafür sein. Also mache ich mich gleich auf den Weg dorthin. Zum Glück sind es nur wenige Autominuten von meinem Wohnort.

Ich war schon oft in den Rieselfeldern, allerdings bisher immer mit dem Ziel, dort in erster Linie Wat- und Wasservögel zu fotografieren. Besonders zu den Zugzeiten im Frühling und Herbst erweist sich das immer wieder als ausgesprochen lohnend. Falls ihr mögt, gelangt ihr mit einem Klick auf den Button direkt zu dem Blogbeitrag über meinen letzten Fotoausflug dorthin.

Auch jetzt im Winter sind in den Rieselfeldern zwar jede Menge Vögel anzutreffen, aber heute sollen sie ausnahmsweise einmal nicht den fotografischen Schwerpunkt bilden. Ich schraube deshalb auch nicht wie sonst, wenn ich hierher komme, meine längste Brennweite, sondern nur das mittlere Telezoom vor die Kamera. Es wird mir, so hoffe ich, einige schöne Fotos dieser frostigen Teichlandschaft ermöglichen.

Besonders verzaubern mich jene Bereiche, in denen Nebelschwaden über dem Wasser wabern. Man vergisst bei diesem Anblick beinahe, dass alle diese Teiche und Kanäle dereinst von Menschenhand angelegt wurden. An einem Tag wie heute genieße ich einfach nur die wunderbare Natur, auch wenn sie ganz so natürlich in Wirklichkeit gar nicht ist. Die gefiederten Bewohner scheinen sich daran übrigens auch kein bisschen zu stören.

Trotz all der Schönheit um mich herum lenke ich meinen Blick auch immer wieder auf den Boden. Viele der kleinen Wasserflächen links und rechts vom Weg sind zugefroren, wobei das Eis an manchen Stellen teils recht bizarre, teils wunderschöne Oberflächen ausgebildet hat. Auch für Aufnahmen dieser Eisgebilde bin ich mit meinem mittleren Telezoom ganz passend ausgerüstet. Wie gut, dass ich die Rieselfelder heute fast für mich alleine habe. Ansonsten würde sich wohl so mancher Spaziergänger an die Stirn tippen beim Anblick dieses merkwürdigen Zeitgenossen, der da inmitten eines weithin für seine Artenvielfalt berühmten Vogelschutzgebiets nichts Besseres zu tun hat, als seine Kamera senkrecht nach unten zu richten, um Pfützen zu fotografieren.

Neben den zugefrorenen Wasserflächen gibt es noch andere frostige Details, die mich faszinieren. Vielleicht hätte ich doch mein Makroobjektiv mitnehmen sollen. Nun wird es eben ohne gehen müssen. Ich suche mir einige schöne Pflanzen heraus, denen der Raureif heute zu einem ganz besonderen Charme verhilft. Wenn dann die Sonne noch ein kleines Funkeln erstrahlen lässt, bin ich rundum zufrieden.

Natürlich komme ich auch heute nicht ganz an der Tierfotografie vorbei. Zumindest als belebende Elemente meiner Landschaftsbilder sollen mir die Enten, Gänse, Rallen und viele weitere gerade recht sein. Selbst ein kleiner Trupp Weißstörche drängt sich ins Bild – und das Mitte Januar. Offenbar bleiben immer mehr von ihnen über Winter hier in unserer Gegend. Natürlich finde ich es höchst reizvoll, Störche bei Raureif ablichten zu können, aber letztlich ist ein solches Bild eben auch ein bedenkliches Zeichen dafür, wie sehr der Klimawandel unsere Natur schon heute beeinflusst. Leider dürften sich die meisten noch zu erwartenden Veränderungen als weitaus weniger erfreulich erweisen.

Gegen Mittag lässt die Sonne allmählich den Raureif schmelzen, und die Landschaft verliert ihren besonderen Zauber. Ich nehme das zum Anlass, mich allmählich wieder auf den Weg nach Hause zu machen. Vorher besuche ich noch die Heckrinder. Selbst an einem so kalten Tag wie heute nehmen sie ihre wichtige Naturschutztätigkeit ernst: Sorgfältig mampfen sie alles weg, was den offenen Charakter dieser Teichlandschaft beeinträchtigen könnte.

Mit dem Gefühl, ein paar wunderbare Stunden erlebt zu haben, in denen einfach alles stimmte, lasse ich meinen heutigen Besuch der Rieselfelder auf der kurzen Heimfahrt noch einmal Revue passieren. Es war ein guter Entschluss, diesen durch Raureif und Sonnenschein verzauberten Vormittag zu nutzen.

Kaum habe ich das gedacht, schon verkünden sie im Radio, dass bereits morgen die typische graue Tristesse des Winters zurückkehren wird. Was soll’s? Ich habe meine Fotos ja im Kasten. Zufrieden lächelnd fahre ich nach Hause.

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