Derzeit suche ich bevorzugt nach möglichst ergiebigen Fotorevieren, die von meinem Wohnort aus ohne allzu lange Anfahrt schnell erreichbar sind. Im letzten Blogbeitrag habe ich euch schon den Wacholderhain in Haselünne und zuvor die Rieselfelder in Münster vorgestellt. Ein weiterer Tag mit ausnahmsweise einmal recht brauchbarem Wetter war für mich Anlass genug, jetzt endlich auch meine allererste Runde durchs Emsdettener Venn zu drehen. Das hatte ich schon lange vor, denn es ist, wenn auch recht klein, nun einmal das meinem Wohnort nächstgelegene Moorgebiet.
Was meint ihr? Ob es wohl auch heute noch „schaurig ist, übers Moor zu gehen“, wie Annette von Droste-Hülshoff einst hier im Münsterland dichtete? Wir werden sehen…
Viel ist nicht übrig geblieben von den riesigen Moorflächen früherer Tage. Dabei sind die Zeiten noch gar nicht lange her, in denen sie auch große Teile des Münster- und des Emslands sowie der angrenzenden Niederlande zu ganz und gar unzugänglichen, nur großräumig zu umgehenden Gebieten gemacht haben. Dem zähen Ringen unserer Vorfahren um landwirtschaftlich nutzbaren Boden und Brennmaterial haben wir es zu „verdanken“, dass heute von diesen Mooren leider nur noch nahezu lächerlich kleine Restbestände übrig geblieben sind. Selbst massive Umweltzerstörung ist also gar kein so ganz neues Phänomen. Allerdings trieb früher meistens der blanke Hunger die Menschen dazu, weniger die pure Gier oder eine unsägliche „Geiz-ist-geil-Mentalität“.
Venn, Fenn, Vehn, Fehn oder Feen lauten die niederdeutschen Bezeichnungen für Moore oder Sümpfe. Auch wenn die inzwischen weitgehend aus unserer Landschaft verschwunden sind, haben sich zumindest diese Begriffe, auch als Bestandteil vieler Ortsnamen, erhalten können. Sie deuten nach wie vor darauf hin, wie es hier vor den massiven Eingriffen des Menschen in die Natur einmal ausgesehen haben mag.
Das Emsdettener Venn
Dieses Mal ging meine kleine Fotolocation-Erkundungstour also ins Emsdettener Venn. Leider sind auch hier die weitaus größten Teile durch Entwässerung und Torfstich seit langem trocken gefallen. Lediglich 440 Hektar (davon wiederum nur ca. 100 Hektar Kerngebiet, der Rest sind Feuchtwiesen und Bruchwald) haben die Eingriffe des Menschen bis heute einigermaßen unbeschadet überstanden. Noch bis ins späte 19. Jahrhundert hinein erstreckte sich im Westen von Emsdetten eine schier endlose, seit 5000 Jahren bestehende Hochmoorfläche, die zu überqueren damals einem nicht ungefährlichen Abenteuer gleichkam. Heute kümmern sich Naturschützer darum, wenigstens den verbliebenen Rest dieser Urlandschaft so gut wie möglich zu erhalten, im Idealfall mittels Wiedervernässung sogar noch zu erweitern.
Dummerweise wächst so eine Torfschicht, die aus abgestorbenen und im Wasser nicht vollständig verrotteten Torfmoosen besteht, im Jahr nur um etwa einen Millimeter. Selbst dann, wenn alles wie geplant klappen sollte mit dem Schutz des Emsdettener Venns und seiner Wiedervernässung, müssten wir somit etwa 3000 Jahre warten, bis die ehemals drei Meter mächtige Torfschicht wieder neu aufgebaut wäre. Wer Lust hat, kann ja so um das Jahr 5021 herum einmal nachschauen, wie gut das funktioniert hat.
Nun könnte man vielleicht einwenden, bei einem solchen zeitlichen Rahmen sei jede Wiedervernässung ja wohl zum Scheitern verurteilt und somit sinnlos. Ganz so ist es zum Glück aber doch nicht: Es zeigt sich nämlich, dass schon recht bald nach dem Zuschütten der Entwässerungsgräben zwar noch kein richtiges Moor wie in alten Zeiten, aber sehr wohl ein wertvoller Lebensraum entsteht. Gerade viele gefährdete Arten profitieren davon. Solche Maßnahmen zur Renaturierung lohnen sich also auch dann, wenn dadurch nicht gleich wieder ein voll funktionsfähiges Hochmoor entsteht.
Übrigens, falls ihr euch gerade fragen solltet, warum ich hier von einem Hochmoor spreche, wo doch jedes Kind weiß, dass es im Münsterland eher flach zugeht: Ein Hoch- oder auch Regenmoor wird im Gegensatz zu den Niedermooren nicht vom Grundwasser, sondern durch Regenwasser gespeist. Mit seiner Höhenlage hat das absolut nichts zu tun.
Von Tüten, Teufeln und Moormütterchen
Auf den ersten Blick konnte ich an diesem recht sonnigen Tag so gar nichts Schauriges im Moor erkennen. Der blaue Himmel und die bunte Herbstfärbung verpassten dem Ganzen im Gegenteil eine eher heitere Anmutung. Sollte Annette von Droste-Hülshoff in ihrer Ballade vom Knaben im Moor vielleicht um der Dramatik wegen ein bisschen übertrieben haben?
Nein, das hat sie nicht, wie ihr sogleich sehen werdet, denn jetzt wird es wirklich und wahrhaft schaurig. Habt ihr gute Nerven? Ihr werdet sie brauchen. Dabei will ich mich noch zurückhalten und von der rothaarigen Moorleiche, die man hier einst gefunden hat, gar nicht erst berichten.
Wie überall, wo es bedrohlich wirkende Naturphänomene gab, entstanden auch rund um das Emsdettener Venn allerlei Spuk- und Schauermärchen. So manche dieser Geschichten dreht sich um das Viënnmöerken, also das Vennmütterchen. Gerade jetzt im Herbst, wenn dichte Nebelschwaden bedrohlich über das Moor wabern, soll, so erzählt man, das alte, hutzelige Weib seine Netze allüberall auslegen, um darin jene unglücklichen Kinder einzufangen, die sich im Moor verlaufen haben. Es heißt, wer am frühen Morgen noch vor Sonnenaufgang ins Venn geht, der könne sie sehen, diese unheimlichen Netze. Den Leuten hier aus der Gegend sind sie als Viënnmöerkens Schleier jedenfalls wohlbekannt.
Auch mit dem Viënndüwel, also dem Vennteufel, ist keinesfalls zu spaßen. Er hat, wie man hört, Schätze im Moor vergraben, die er seitdem mit Gebrüll und Feuersbrunst hütet. Ihr könnt euch also gewiss vorstellen, dass man gut daran tut, auch diesem wilden Gesellen besser aus dem Weg zu gehen. Nur wird das nicht allen Besuchern gelingen, denn noch immer treibt der Viënndüwel hier sein Unwesen. Ach, was sage ich? Gleich in Scharen ziehen diese geheimnisvollen Gestalten auch heutzutage durchs Venn, um ihren wehrlosen Opfern mit Hacken und Beilen den Garaus zu machen – und sie scheuen nicht einmal davor zurück, ihr Teufelswerk am helllichten Tag zu verrichten.
Zum Glück müssen sich Kinder nicht vor ihnen fürchten – und auch die Erwachsenen haben wenig Grund zur Sorge. Unsere zeitgenössischen Viënndüwel haben es vielmehr auf Birken und Faulbäume abgesehen. Diese Gewächse neigen nämlich dazu, dem Moor das dringend benötigte Wasser zu entziehen. Und da sei der Teufel vor – oder eben die Viënndüwel. So nennen sich nämlich die fleißigen Mitglieder der Natur- und Umweltschutzgruppe des Emsdettener Heimatbunds, die sich seit etlichen Jahren darum kümmern, dass „ihr“ Venn der Nachwelt noch möglichst lange und in gutem Zustand erhalten bleibt. Das gleiche Ziel verfolgen übrigens auch die Vennfüchse, eine weitere Gruppe ehrenamtlich sehr aktiver Naturschützer.
Soviel zu Teufel und Mütterchen. Bleibt noch die ebenfalls in der Überschrift zu diesem Kapitel angekündigte Tüte. In dem Fall handelt es sich allerdings um keine schaurige Figur aus der Welt der Märchen. Wegen des Klangs seiner Stimme, die früher meist aus den Moorgebieten zu hören war, verpassten die Bauern dem Großen Brachvogel den Namen Venntüte. Zum Glück ist er auch heute noch in den Feuchtgebieten des Münsterlands zu finden. Auch im Emsdettener Venn lässt er seinen Ruf regelmäßig erklingen. Leider konnte ich bei meinem Besuch keine Venntüten entdecken. Vielleicht lag es ja daran, dass viele von ihnen schon in ihre Winterquartiere an den Küsten aufgebrochen waren.
Mein Fazit zum Emsdettener Venn als Foto-Location
Natürlich kann man nach nur einem Besuch ein Gebiet wie das Emsdettener Venn nicht endgültig beurteilen. Ich wollte mir ja auch nur einen ersten Eindruck darüber verschaffen, ob ich es in meine Liste schnell zu erreichender Plätze mit Naturfoto-Potenzial aufnehmen sollte. Und wie lautet nun mein Fazit?
Das Moor selbst ist eher klein, und man muss schon einen etwas längeren, wenn auch durchaus ansprechenden Fußweg, in Kauf nehmen, um überhaupt erst einmal vom Parkplatz zu den sehenswertesten Stellen zu gelangen. Selbst die sind dann nicht unbedingt spektakulär, wohl aber recht fotogen. Schnelle Bilder im Vorübergehen sollte man besser nicht erwarten, schon gar nicht als Tierfotograf. Geduld dürfte hier der Schlüssel zum Erfolg sein.
So gesehen lohnt sich eine längere Anreise vermutlich kaum. Schließlich gibt es in nicht allzu großer Entfernung bekanntere, größere und vermutlich aus Fotografensicht auch ergiebigere Moore. Aber für mich, der ich ja ganz in der Nähe zu Hause bin, bietet das Emsdettener Venn mehr als genug lohnende Motive, um immer wieder einmal die paar Kilometer dorthin zu fahren. Ich habe mir jedenfalls fest vorgenommen, hier noch oft und unter allen möglichen Wetter- und Lichtbedingungen zu fotografieren.
Dabei müssen es gar nicht mal unbedingt die typischen Moorfotos sein, die mich dazu verlocken. So habe ich z.B. mit großer Begeisterung einige wenig begangene, oftmals halb zugewachsene Wege durchs Venn auf den Sensor gebannt, die sich jetzt in ihrer vollen herbstlichen Pracht zeigen. Vermutlich sieht man diesen Bildern nicht einmal auf den ersten Blick an, in welcher Art von Landschaft sie entstanden sind. Aber warum sollte mich das stören?
Übrigens: Natürlich sind unsere Moore heutzutage nicht mehr wirklich gruselig, außer vielleicht ein ganz klein wenig bei Nacht oder im dichten Nebel. Ich konnte dennoch dem Versuch nicht widerstehen, mit den Schauermärchen von Viënnmöerken und Viënndüwel einen etwas anderen Eindruck zu erzeugen. Alte Geschichten wie diese mag ich einfach viel zu gerne, um sie für mich zu behalten.
In Wirklichkeit sind die letzten intakten Moorgebiete ein wichtiger Lebensraum für viele gefährdete Arten und darüber hinaus ziemlich effektive CO2-Senken. Sie spielen damit eine wichtige Rolle im Kampf gegen die zwei wohl größten Probleme unserer Zeit – Klimawandel und Artensterben. Wir alle können hier sehr einfach unseren Beitrag leisten, und das, ohne irgendwelche Nachteile in Kauf nehmen zu müssen: zukünftig nur noch torffreie Blumenerde verwenden und auch im Garten auf Torf verzichten. Es gibt ja schon längst eine ganze Reihe umweltfreundlicher Alternativen. Macht ihr mit?
Lieber Thorwald,
vor einigen Tagen hatte ich eine erstaunliche Information erhalten: Hochmoore absorbieren die 30fache Menge an CO2 wie Waelder auf der selben Flaeche. Dabei hatte ich stets das Gegenteil angenommen: Wenn biologische Materialien unter Luftabschluss verrotten, so erzeugen sie doch CH4, was wesentlich schaedlicher als CO2 sein soll. Weisst Du Genaueres?
Lieber Koess,
ich versuche mal mein gesammeltes Halbwissen zu dem Thema zusammenzukratzen, alles wie immer ohne Gewähr: Es stimmt, dass nasse (also intakte oder wiedervernässte) Moore Methan freisetzen. Aber der Effekt als CO2-Senken überwiegt in der Wirkung auf das Klima bei weitem. Tatsächlich ist die Klimabilanz dieser Moore wohl deutlich besser als jene der Wälder. Die von dir genannte Zahl des 30-fachen kann ich nicht beurteilen. Darüber weiß ich nichts.
In Zukunft kann sich das aber wohl durchaus ändern, denn alles beruht auf den Torfmoosen. Sie nehmen CO2 auf, sterben ab, sinken auf den Grund, und durch den Ausschluss von Sauerstoff unter Wasser können sie nur unvollständig – zu Torf – verrotten, geben das gebundene CO2 also nicht frei. Durch die zunehmende Klimaerwärmung sowie den immer höheren Stickstoffeintrag (v.a. durch die Landwirtschaft) könnten aber bald die Grenzen überschritten werden, unter denen Torfmoose gedeihen. Sie würden dann wohl von anderen Pflanzen mit einer wesentlich schlechteren Klimabilanz verdrängt. Käme es so, was wahrscheinlich ist, dann wäre die Funktion der Moore als CO2-Senken dahin oder würde sich gar ins Gegenteil verkehren.
Hallo Thorwald,
danke fuer Deine Einlassung zum Thema anaerober Abbau, wobei CH4 entsteht. Eine andere Info hatte mich ueberrascht: Ein Wald von der Groesse Deutschlands koennte den gesamten derzeitigen weltweiten CO2 Ueberschuss binden (oder Moore von 1/30 der Groesse Deutschlands?). Aber wollen wir Deutschland mit Wald ueberwachsen lassen? Vielleicht doch besser kein Rindfleisch mehr aus Suedamerika kaufen, weil dann nicht mehr der Regenwald abgeholzt werden muss?