Zerstören wir, was wir lieben?

Kommentare 0
Schmökern

Als begeisterter Naturfotograf komme ich, wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, nicht um ein paar recht unangenehme, aber sehr entscheidende Fragen herum: Betreibe ich mein Hobby eher zum Nutzen oder zum Schaden der Natur? Wie sähe eine naturverträgliche Naturfotografie aus? Gibt es sie überhaupt? Welches Maß an negativen Auswirkungen meines Hobbys darf ich in Kauf nehmen? Kann ich denen vielleicht sogar einen positiven Effekt gegenüberstellen? Wie könnte mir das gelingen?

Fragen über Fragen, aber ich denke schon, dass wir sie uns ernsthaft stellen müssen. Man kann schließlich nicht guten Gewissens ein Hobby ausüben, das eine intakte Natur voraussetzt, und sich gleichzeitig aktiv an ihrer Zerstörung beteiligen. Das hat übrigens rein gar nichts mit parteipolitischen Präferenzen zu tun. Egal, wo wir am Wahltag unser Kreuzchen machen, auf ein funktionierendes Ökosystem sind wir schließlich alle angewiesen, als Naturfotografen ebenso wie als Bewohner dieses wunderschönen blauen Planeten.

Nun sind wir Menschen ja ziemlich gut darin, unser Gewissen zu entlasten. Die dafür typische Argumentationskette von uns Naturfotografen geht etwa so:

1. Man schützt nur, was man liebt.
2. Man liebt nur, was man kennt.
3. Man kennt besser, was man gesehen hat (z.B. in Form von Naturfotos).

Die logische Folgerung: Unsere Fotos – und damit auch wir – dienen dem Naturschutz.

Ich finde, grundsätzlich ist an dieser Argumentation nichts falsch. Zwar gibt es ohne Frage ausgesprochen vernünftige Gründe, dem Naturschutz allerhöchste Priorität einzuräumen. Unser Verstand wird das kaum leugnen, sofern er halbwegs brauchbar funktioniert. Aber wer hört schon gerne auf seinen Verstand, diesen kühl kalkulierenden Spaßverderber? Eine innere Bereitschaft, unsere Natur zu schützen, erwächst doch viel eher aus der Liebe zur Natur. Die aber ist, wie zum Glück jede Liebe, keine Frage des Verstandes; sie beruht einzig und allein auf unseren Gefühlen. Solche Gefühle zu wecken oder zu verstärken, dazu sind gute, emotionale Naturfotos durchaus in der Lage.

Sind wir damit aus dem Schneider? Gehören wir Naturfotografen automatisch zu den Guten? Ich glaube, so einfach sollten wir es uns denn doch nicht machen. Die obige Argumentationskette, so bestechend einfach ihre Logik im ersten Moment auch erscheinen mag, berücksichtigt ja in keiner Weise die negativen Begleiterscheinungen unseres Hobbys. Ein paar fallen mir da schon ein:

Der Rattenfänger-Effekt

Gerade in der Landschaftsfotografie sind wir stets auf der Suche nach bisher noch eher unbekannter, im Idealfall sogar weitgehend unberührter Natur. So ein Fleckchen zu finden und dann in sehenswerten Bildern festzuhalten, das erfüllt uns mit Freude. Voller Stolz stellen wir die Fotos dann ins Netz … und regen damit andere Menschen dazu an, diese schöne Location auch einmal zu besuchen. Je besser unsere Fotos sind, umso mehr Menschen werden kommen. Selbst wenn die sich dann dort alle vernünftig verhielten, was natürlich nie der Fall ist, könnte alleine die schiere Masse an Besuchern der Natur erheblichen Schaden zufügen. Ich bin hier keineswegs auf reine Mutmaßung angewiesen, denn es gibt mittlerweile wohl kaum eine Region mehr, die nicht mit den Folgen dieses Phänomens zu kämpfen hätte.

Auch in meinem Wohnort, touristisch ansonsten völlig unbedeutend, gibt es eines der inzwischen leider unzähligen traurigen Beispiele für rücksichtsloses Eindringen in wertvolle Naturschutzgebiete. Angelockt von attraktiven, im Internet mit einem Klick verfügbaren Fotos, nehmen immer mehr fragwürdige „Naturfreunde“ weite Anfahrten in Kauf, um dann sämtliche Verbotsschilder ignorierend mitten im Naturschutzgebiet zu lagern, zu baden und zu grillen. Selbst Zelte werden gerne mal aufgebaut, um die herrliche Natur (und das eine oder andere Bierchen) noch ausgiebiger genießen zu können. Am Ende dieses wunderschönen Ausflugs aber besinnt man sich dann doch noch auf sein Gewissen: Die Natur hat einem so viel gegeben, da will man sich nicht lumpen lassen und ihr auch etwas zurückgeben. Also bleibt ein – das muss man anerkennen – wirklich großzügig bemessener Anteil des Mülls zurück.

Natürlich tragen wir Naturfotografen an solchen Entwicklungen, die es ja, wie gesagt, inzwischen an immer mehr Orten gibt, nicht alleine die Verantwortung. Aber einen ganz gewiss nicht unwesentlichen Beitrag leisten wir mit unseren Fotos schon, ob wir das nun wollen oder nicht – und ich denke, niemand von uns will das. Was aber kann man tun, um diese unerwünschten Folgen zu vermeiden?

Hier muss sicher jeder Naturfotograf seine eigenen Antworten finden, seine eigenen Entscheidungen treffen. Da das natürlich auch für mich gilt, habe ich mich an einen runden Tisch gesetzt (runde Tische zur Problemlösung sind derzeit ja ziemlich beliebt) und nach einer sehr offen und konträr geführten Diskussion mit mir selbst Folgendes beschlossen:

Ich werde auch auch weiterhin attraktive Landschaften fotografieren und die Fotos z.B. hier im Glaslinsenspiel zeigen. Schließlich mache ich das alles ja in erster Linie, um Begeisterung für die Natur und die Naturfotografie zu wecken.
Genaue Ortsangaben oder gar GPS-Koordinaten lasse ich jedoch ganz bewusst weg.
Vor allem aber möchte ich in meinen Bildern und Texten versuchen zu vermitteln, dass man auch abseits der bekannten Hotspots ansprechende Naturfotos machen kann.

Die Idylle aus Fotografenhand

Wir alle lieben die Natur, und deshalb neigen die allermeisten von uns – ich nehme mich da gewiss nicht aus – dazu, alles sorgfältig aus unseren Fotos zu verbannen, was den Eindruck einer echten, unverfälschten Natur zerstören könnte. Keine Industrie, keine Strommasten, keine Windräder, keine Autobahnen – stattdessen Idylle pur in unseren Bildern. Mit anderen Worten: Wir blenden die nicht ins Bild passende und oft alles andere als erfreuliche Realität meistens aus. Auf diese Weise vermitteln unsere Aufnahmen das Trugbild einer intakten Natur – auch von Orten, wo man diese in Wirklichkeit längst mit der Lupe suchen muss.

Doch damit nicht genug. Viele von uns gehen durchaus noch einen Schritt weiter: Da wird mal eben ein herrlich knorriger Ast aus dem nahegelegenen Wald an den Strand geschleift und als Blickfang ins Bild gelegt. Oder ein attraktiver Käfer weiß gar nicht wie ihm geschieht und warum er plötzlich als Fotomodell auf dieser komischen Blüte sitzt, auf die er von alleine niemals gekrabbelt wäre. So geht künstliche (oder besser kitschige?) Idylle; alles selbstverständlich nur zum Wohle der Bildwirkung. Man lasse sich das mal auf der Zunge zergehen: Da „optimiert“ ein Naturfotograf die Natur, um bessere Naturfotos zu machen. Ich finde, das klingt nicht nur verrückt. Und von den noch viel phantastischeren Möglichkeiten, solche Manipulationen per Photoshop und Co. nachträglich vorzunehmen, habe ich noch gar nicht gesprochen.

„Kosmetische“ Eingriffe dieser Art waren noch nie mein Ding. Aber eine unattraktive Umgebung rund um meine Motive blende auch ich in aller Regel aus. Wer will denn schon hässliche Fotos machen oder sich diese anschauen? Ich kann also gar nicht leugnen, in so manchem meiner Bilder ein Naturidyll vorzutäuschen. Schlimmer noch: Auch in Zukunft möchte ich mir meine Naturfotos nicht allzu häufig mit irgendwelchen hässlichen Zeichen des fortschreitenden Naturverbrauchs versauen. Das würde mir einfach jede Freude an meinem Hobby nehmen, obwohl es vielleicht ehrlicher wäre. Aber wenigstens will ich möglichst transparent mit diesem Problem umgehen:

Es wird demnächst hier im Glaslinsenspiel einen Blogbeitrag geben, in dem ich anhand von Beispielbildern einmal ganz offen zeige, dass auch meine Bilder gelegentlich den falschen Eindruck einer Idylle vorspiegeln.
Darüber hinaus will ich immer wieder einmal in meinen Texten zu den Fotos auf die erwähnte Problematik zu sprechen kommen.

Die lästige Sache mit dem CO2

Was ein richtiger Naturfotograf ist, der nimmt selbst die Strapazen langer und oft beschwerlicher Reisen auf sich, um dafür dann mit ganz besonderen Motiven belohnt zu werden. So oder so ähnlich dürfte das Selbstverständnis von uns Naturfotografen bis vor kurzem gelautet haben, zumindest bei vielen von uns. Dumm nur, dass diese Strapazen nicht nur den Fotografen betreffen. Lange Reisen, und ganz besonders Flugreisen, sind, wie wir alle inzwischen wissen, wegen des damit verbundenen CO2-Ausstoßes nun einmal ziemlich schädlich für die Umwelt. Wer nicht nach dem Motto „nach mir die Sintflut“ lebt (und genau jetzt, da ich diese Zeilen schreibe, erleiden die Menschen in einigen Teilen Deutschlands eine ungeheure Flutkatastrophe), dem drängt sich mit aller Macht die Frage auf, ob man als Hobby-Naturfotograf tatsächlich durch die Welt reisen und damit zur Beschleunigung des Klimawandels beitragen muss.

Die ehrliche Antwort lautet: Nein, das müssen wir keinesfalls. Unsere Chancen auf gute Fotos sind rund um unseren Wohnort ohnehin am größten. Nur dort können wir es uns nämlich leisten, auf die bestmöglichen Rahmenbedingungen zu warten. Nur dort haben wir die Gelegenheit, jeden Tag aufs Neue unser Glück zu versuchen. Und nur dort kennen wir uns so gut aus, dass wir jede sich bietende Fotogelegenheit auch wirklich beim Schopf zu packen vermögen.

Das Argument, als Naturfotograf sei man quasi gezwungen, in ferne Länder zu reisen, zieht also nicht. Natürlich muss ich nach Afrika fliegen, wenn ich unbedingt meine eigenen Löwenbilder in freier Wildbahn machen oder den Kilimandscharo fotografieren will. Aber fürs Klima wäre es eben besser, ich konzentrierte mich stattdessen z.B. auf Rotmilane und die sächsische Schweiz. Zugegeben, bei Berufsfotografen mag das vielleicht noch ein wenig anders aussehen. Allerdings frage ich mich schon, ob Bilder der afrikanischen Natur wirklich von europäischen Fotografen gemacht werden müssen. Bildbände über die Lüneburger Heide oder die Schweizer Alpen stammen meines Wissens ja auch höchst selten von afrikanischen Kollegen.

Also lieber auf Reisen verzichten? Ganz so eindeutig ist die Sache meiner Meinung nach nun auch wieder nicht. Was würde dann z.B. aus den höchst unterstützenswerten Projekten in vielen Teilen der Welt werden, wo einheimische Bevölkerung und vom Aussterben bedrohte Tiere gleichermaßen vom Ökotourismus profitieren? Ohne die weit angereisten Besucher, die meisten davon Naturfotografen, hätten sie in aller Regel keine Chance, wie die aktuelle Pandemie in aller Deutlichkeit gezeigt hat. Soll ich also aus Gründen des Artenschutzes und um die ortsansässigen Menschen zu unterstützen doch in den Flieger steigen und damit zu eben jenem Klimawandel beitragen, der dann wiederum das Artensterben weiter beschleunigt? So etwas nennt man dann wohl ein Dilemma.

Außerdem glaube ich fest daran, dass kaum etwas einem dumpfen Nationalismus, wie wir ihn leider derzeit wieder zunehmend erleben müssen, stärker entgegenwirkt, als persönliche Begegnungen von Menschen unterschiedlicher Kulturkreise, sofern diese auf Augenhöhe stattfinden. Ohne Reisen wird das aber kaum gelingen. Und schwupps sitze ich schon wieder mitten in der Zwickmühle.

Natürlich habe ich keine Lösung, wie auch? Aber um Entscheidungen kommt man ja dennoch nicht herum. Meine sehen – zumindest bis mir etwas Besseres einfällt – so aus:

Noch mehr als bisher schon werde ich den Schwerpunkt meiner Fotografie in die nähere Umgebung meines Wohnortes verlegen.
Auf innereuropäische Flüge unter 3 Stunden Flugzeit möchte ich zugunsten anderer, weniger Treibhausgase erzeugender Verkehrsmittel verzichten.
Längere Flüge werden seltene und kritisch hinterfragte Ausnahmen bleiben.
Falls ich mich für einen Flug entscheiden sollte, dann zumindest nicht, ohne den CO2-Ausstoß zu kompensieren (z.B. über atmosfair).
Weite Reisen werde ich nur in Verbindung mit entsprechend langen Aufenthalten am Reiseziel unternehmen. Das ist nicht nur besser für die Umwelt (weniger Kurzreisen), es erhöht auch die Chancen auf gute Fotos (mehr Zeit am Zielort).

Alle Fotos im heutigen Blogbeitrag sind übrigens sehr einfach und ganz ohne weite Reisen hier in Deutschland entstanden; die meisten davon sogar bei mir um die Ecke im Münsterland. Alle sicher nicht spektakulär, aber muss Naturfotografie denn immer spektakulär sein?

Ich habe vor einiger Zeit hier im Glaslinsenspiel schon einmal einen eigenen Artikel mit meinen Gedanken zum Thema Naturfotografie und Reisen veröffentlicht. Falls euch der interessiert, könnt ihr einfach hier klicken. Es ist übrigens kein Zufall, dass ich dieses Thema erneut aufgreife, und ich will auch niemanden damit langweilen. Die Frage, ob man Reisen, speziell Flugreisen, noch guten Gewissens verantworten kann, beschäftigt mich derzeit einfach mehr als irgendetwas sonst rund um mein Hobby Naturfotografie. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Ich habe Reisen immer geliebt und stets als sehr bereichernd empfunden. Inzwischen lässt sich aber das Gefühl nicht mehr verdrängen, dass diese Bereicherung auf Kosten der nachfolgenden Generationen geht.

Die Naturbanausen

Ich weiß, dass es auch unter uns Naturfotografen einige schwarze Schafe gibt, die für ein gutes Foto den Schutz der Natur hintanstellen. Da werden dann gerne schon mal Wegegebote missachtet oder geschützte Wildblumen (bis auf die eine, die aufs Foto soll) zertrampelt. Selbst davor, Insekten zu töten oder einzufrieren (weil sie ja sonst nicht stillhalten) schrecken einige besonders rücksichtslose „Kollegen“ nicht zurück.

Damit möchte ich mich hier aber nicht ausführlicher befassen. Ich bin nun einmal ein ziemlich unbelehrbarer Optimist und gehe deshalb ganz fest davon aus, dass solche „Naturfreunde“ ohnehin nicht unter den Besuchern des Glaslinsenspiels zu finden sind. Auf solche Banausen können wir wohl alle gut verzichten; hier im Blog und erst recht draußen in der Natur.

Ein Wort zum Schluss

Am Ende dieses Blogbeitrags bleiben – auch bei mir – mehr Fragen als Antworten. Das ist zwar recht unbefriedigend, aber deshalb ja noch lange kein Grund, die Augen vor den möglichen negativen Folgen des eigenen Tuns zu verschließen. Wie so vieles hat eben auch die Naturfotografie ihre Licht- und Schattenseiten, im wörtlichen Sinn ja ohnehin, aber eben auch im übertragenen. Mir ist bewusst, dass die Antworten, die ich für mich gefunden habe, nicht mehr als ein Versuch sein können, die beiden Seiten wenigstens einigermaßen ins Gleichgewicht zu bringen. In einer komplexen Welt gibt es eben keine einfachen Antworten.

Schreibe einen Kommentar