Wie gut ich es als Naturfotograf doch habe! Selbst jetzt in Zeiten der Pandemie kann ich mein Hobby problemlos ausüben. Hätte ich mich auf die People-Fotografie spezialisiert oder mir gleich eine ganz andere Freizeitbeschäftigung gesucht, sagen wir mal Preisschafkopfen oder die Teilnahme an unvergesslichen Kaffeefahrten, dann säße ich jetzt hobbymäßig ganz schön auf dem Trockenen. Als Naturfotograf bin ich hingegen, da in der Regel ohnehin alleine und noch dazu an der frischen Luft unterwegs, kaum eingeschränkt. Selbst nächtliche Ausgangsbeschränkungen treffen mich nicht allzu hart, denn irgendwann muss ich ja ohnehin auch mal am Rechner sitzen und meine Bilder bearbeiten.
Ein paar Worte zur Bildauswahl für diesen Artikel
Es wäre wohl ein wenig unredlich, in diesem Blogbeitrag das Hohelied der Fotografie vor der eigenen Haustüre zu singen, ihn dann aber mit Bildern von exotischen Tieren oder fernen Landschaften zu illustrieren. Also habe ich mich einmal mehr aufgeopfert (Mitleidsbekundungen bitte gerne in die Kommentare) und ein paar Stunden damit zugebracht, echte Allerweltsmotive zu fotografieren: Buschwindröschen und Amseln. Um ehrlich zu sein: So aufopferungsvoll war das dann allerdings auch wieder nicht, ganz im Gegenteil. Es hat mir richtig Spaß gemacht. Außerdem hat es durchaus seine Vorteile, rechtzeitig zum Tee wieder zu Hause zu sein.
Zuerst ging’s in den Teutoburger Wald, der ja praktisch direkt vor meiner Haustür liegt. Die Buchen dort benötigen noch ein Weilchen, bis sie ihr Blätterdach ausbilden werden. Stattdessen verleihen derzeit Abertausende von Buschwindröschen dem Wald eine überraschend heitere Anmutung, wie sie keine andere Jahreszeit zustande bringt. Da man sie im Frühjahr an praktisch jedem Bachufer, Grünstreifen oder eben im Wald antreffen kann, hatte ich mit ihnen mein erstes Allerweltsmotiv gefunden.
Noch weit mehr als diese Blumen mit ihren recht einfachen und fast reinweißen Blüten verdienen sich wohl unsere allgegenwärtigen Amseln das Prädikat Allerweltsmotiv. Schlichtes Federkleid, jedem Kind bekannt, leicht zu beobachten – unspektakulärer geht es wohl kaum. Bei ihnen habe ich es mir ganz einfach gemacht und sie an unserem eigenen Gartenteich fotografiert. Dort blühen jetzt die Sumpfdotterblumen. So konnte ich mit den gelben Spiegelungen im Wasser doch noch ein wenig Farbe ins Bild bringen, die zudem sehr schön mit jener der Augenringe und Schnäbel männlicher Amseln korrespondiert.
Tolle Bilder nur an außergewöhnlichen Orten?
Nun aber zurück zum Thema: Habe ich oben vielleicht einen ganz wesentlichen Punkt einfach unterschlagen? Ist die Naturfotografie nicht unweigerlich an die Möglichkeit des Reisens gebunden? Sind Reisen in die schönsten Landschaften oder zu den Hotspots der Tierfotografie nicht die Voraussetzung, um überhaupt sehenswerte Fotos zustande zu bringen?
Eines vorweg: Ja, ich reise sehr gerne, und viele meiner Fotos habe ich im Rahmen von Reisen gemacht. Das hatte aber im Grunde nichts damit zu tun, dass nur in fernen Ländern fotogene Motive zur Verfügung stünden. Zum größeren Teil lag es offenbar schlicht daran, dass ich im Urlaub einfach mehr Zeit und Muße zum Fotografieren fand. Ich habe das nachgeprüft: Bei Durchsicht meiner Fotoalben – damals noch analog aufgenommene und dann liebevoll eingeklebte Bilder – fällt mir ins Auge, dass ich auch meine Familie fast ausschließlich im Urlaub fotografiert habe. Und das kann ja nun wirklich nichts damit zu tun haben, dass mir diese Motive zu Hause nicht zur Verfügung gestanden hätten.
So ähnlich verhält es sich aber auch mit der Naturfotografie. Natürlich reizt es mich sehr, in fremden Ländern Motive auf den Sensor zu bannen, die es eben nur dort gibt. Das bedeutet aber heute nicht mehr, dass ich meine Kamera im Regal verstauben ließe, nur weil ich nicht verreisen kann. Tolle Motive finde ich überall, gerade auch in einem so vielfältigen Land wie Deutschland. Und selbst in einer auf den ersten Blick eher nicht so spannenden Landschaft wie dem Münsterland, wo ich wohne, gibt es Motive in Hülle und Fülle. Die würden für viele Fotografenleben reichen.
Ich gehe sogar noch weiter und behaupte, dass selbst dann, wenn tatsächlich nur „langweilige Allerweltsmotive“ zur Verfügung stünden, immer noch tolle Bilder – auch in der Naturfotografie – entstehen könnten. Zumindest dann, wenn sich richtig gute Fotografinnen oder Fotografen ihrer annehmen. Und nein, ich zähle mich nicht dazu. Aber warum sollte ich es nicht zumindest versuchen? Schließlich heißt es doch immer, man wachse an seinen Aufgaben.
Motiv gut – alles gut?
In der ersten Zeit, nachdem ich mit der Fotografie begonnen hatte, schien mir das beste, eigentlich sogar das einzige Erfolgsrezept, um zu halbwegs vorzeigbaren Bildern zu kommen, ein besonders schönes Motiv zu sein. Oder ein ausgesprochen niedliches. Oder ein ungewöhnliches. Auf jeden Fall stand für mich das Motiv voll und ganz im Mittelpunkt meiner fotografischen Bemühungen. Hatte ich da etwas Tolles gefunden, dann konnte doch überhaupt nichts mehr schiefgehen. Und tatsächlich war ich von meinen Bildern auch immer ziemlich begeistert. Ihre fotografischen Schwächen nahm ich gar nicht wahr.
Das zumindest hat sich inzwischen total geändert. Heute, etliche Jahre und einige Tausend Fotos später, sehe ich in meinen Bildern ständig irgendwelche dummen Fehler und Unzulänglichkeiten. Fast nie bin ich so recht zufrieden. Bei jedem einzelnen Foto weiß ich hinterher ein paar Dinge, die ich hätte besser machen sollen; leider aber eben oft erst hinterher. Deshalb fällt es mir auch immer recht schwer, Bilder für das Glaslinsenspiel auszusuchen. Warum habe ich Wahnsinniger mir auch unbedingt in den Kopf setzen müssen, einen Fotoblog auf die Beine zu stellen? Aber ich komme vom Thema ab…
Was ich eigentlich sagen will: Je länger ich fotografierte, desto mehr begann ich zu begreifen, dass ein gutes Motiv noch lange kein vorzeigbares Foto ergibt. Ich hatte ja selbst hinreichend oft bewiesen, dass man auch von den schönsten Landschaften, den hübschesten Blumen oder den faszinierendsten Tieren problemlos richtig schlechte Fotos machen kann. Meine eigentlichen Augenöffner waren dann aber Bilder wie z.B. jene von Eberhard Schuy. Das konnte doch einfach nicht wahr sein: Der Mann fotografierte so absolut banale Dinge wie Schrauben, Kaffeetassen und ähnlichen Kram. Wie langweilig ist das denn? Blöd nur, dass mir auf den allerersten flüchtigen Blick sofort schmerzlich bewusst wurde, dass seine Bilder fotografisch in einer viel höheren Liga spielten als meine, einer sehr viel höheren. Dabei hatte ich mir doch die weitaus attraktiveren Motive gesucht. Irgendetwas lief da offenbar ganz gehörig schief.
Heute weiß ich, dass ich mit Eberhard Schuy gleich einen ganz Großen im Bereich der Produktfotografie erwischt hatte. Das geschah damals aber nicht aus einem Anfall von Größenwahn heraus. Ich hatte wirklich nur seine beeindruckenden Fotos gesehen, ohne dass mir der Name Schuy irgendetwas gesagt hätte. Aber seine – und ebenso fantastische Arbeiten anderer Fotografen – haben mich für immer von dem Irrglauben kuriert, dass großartige Motive alleine schon tolle Fotos garantieren. Umgekehrt wird da schon eher ein Schuh draus: So langweilig kann ein Motiv gar nicht sein, dass sich davon kein sehenswertes Bild machen ließe – wenn man weiß, wie es geht.
Langer Rede kurzer Sinn: Heute ist es mir gar nicht mehr so wahnsinnig wichtig, was ich fotografiere. Viel entscheidender ist für mich geworden, wie ich die Sache angehe. Dieses „Wie“ ist hier in zwei verschiedenen Bedeutungen gemeint. Einerseits denke ich dabei an das fotografische „Wie“, also Belichtung, Schärfeverlauf, Bildkomposition… Darüber zerbreche ich mir vor Ort den Kopf, nur um dann hinterher (siehe oben) zu erkennen, was ich wieder einmal alles falsch gemacht habe. Wird wohl nichts mehr mit der fotografischen Champions League. Seufz!
Neben diesem fotografischen „Wie“ gibt es aber noch das innere „Wie“, jenes also, das etwas über meine Verfassung, meine Stimmung im Moment des Fotografierens aussagt. War ich voll und ganz bei der Sache, alles rund um mich vergessend, oder hatte ich eigentlich gar keine rechte Lust, wollte nur nicht ohne Foto nach Hause kommen? Hatte ich Spaß daran, mit meinem Motiv zu spielen, immer wieder neue Blickwinkel auszuprobieren, das Licht von verschiedenen Richtungen einfallen zu lassen, etwas Neues zu versuchen?
Beide „Wie“, das fotografische wie auch das innere, sind, davon bin ich inzwischen fest überzeugt, für meine Fotos erheblich wichtiger als das Motiv. Meine Lieblingsbilder entstehen also nicht in erster Linie dann, wenn ich irgendetwas Tolles vor der Linse habe. Sie kommen vielmehr in solchen Stunden zustande, in denen ich mich ganz und gar darauf einlassen kann, einfach nur eine gute Zeit fotografierend in der Natur zu verbringen. Gelingt mir das, dann ist es beinahe ohne Bedeutung, in welcher Landschaft ich gerade bin oder welches Tier sich vor meine Kamera gewagt hat. Und auf einmal ist es da, wenigstens lugt es zaghaft hervor, jenes beinahe intuitive Gespür für die oben bereits genannten Aspekte einer etwas ansprechenderen Bildgestaltung. Dann gelingen mir manchmal Bilder, mit denen ich auch beim Wiederanschauen ein paar Wochen später noch einigermaßen zufrieden bin.
Der Heimvorteil in der Naturfotografie
Was das denn nun alles mit dem heutigen Thema „Naturfotografie ohne Reisen“ zu tun hat? Bei mir jedenfalls eine ganze Menge. Als mir erst einmal klar geworden war, dass ein sehenswertes Motiv bestenfalls eines von mehreren Elementen eines guten Fotos ausmacht, in aller Regel nicht einmal das wichtigste, verloren Fotoreisen für mich ein wenig an Bedeutung. Sie bereiten mir nach wie vor viel Freude, keine Frage. Aber sie sind eben nicht mehr der beinahe einzige Anlass, meiner Kamera ein paar Arbeitstage zu verschaffen.
Wenn ich heute Lust aufs Fotografieren habe, dann ziehe ich einfach los. Das dürfen dann auch gerne mal nur ein, zwei Stündchen in unmittelbarer Nähe meines Wohnorts sein. Ich weiß ja inzwischen, dass ich überall, also auch rund um den eigenen Schornstein, lohnende Motive finden kann. Lohnend aber dann eben nicht, weil sie überaus beeindruckend und großartig sind. Lohnend vielmehr, weil irgendetwas ihnen einen ganz besonderen Zauber verleiht. Vielleicht ist es das Licht, vielleicht eine spezielle Wettersituation wie Gewitter, Regen, Tau, Frost, Schnee; und manchmal, vor allem bei Tieren, geschieht auch einfach im Augenblick des Fotografierens etwas Spannendes. Und selbst ohne diese Extraportion Magie erweisen sich auch die allermeisten ganz banalen Alltagsmotive als erstaunlich reizvoll, wenn man sie einmal in aller Ruhe betrachtet. Ihre Schönheit, die mir beim bloßen Vorübergehen meist verborgen bleibt, zu entdecken und mit meiner Kamera einzufangen, hat sich schon sehr oft als ausgesprochen lohnend erwiesen.
Es muss also gar nicht unbedingt ein Nachteil sein, im Moment nicht zu den vielen Hotspots der Naturfotografie reisen zu können, welche die Welt zu bieten hat, so schön das Reisen an sich natürlich auch sein mag. Wo, außer in meiner eigenen Heimatregion hätte ich denn die Chance, zu allen Jahreszeiten und unter allen möglichen Wetterbedingungen Fotos zu machen? Wo sonst könnte ich mit dem Verhalten der Tiere, ihren Wildwechseln, den Singwarten der Vögel, Libellenrevieren aber auch Baumpersönlichkeiten, Blumenstandorten, Bachverläufen und, und, und auch nur annähernd so vertraut sein?
Es wäre doch nahezu fahrlässig, wenn ich mir diesen Heimvorteil entgehen ließe. Ich muss ja – wenigstens in normalen Zeiten – deshalb nicht auf Fotoreisen verzichten. Aber die Tatsache, dass so etwas im Moment kaum oder gar nicht möglich und sinnvoll ist, wird mich nicht davon abhalten können, meinem Hobby Naturfotografie mit ungebrochener Freude nachzugehen. Im Gegenteil, gerade jetzt empfinde ich es als besonders wertvoll, mit meiner Kamera draußen in der Natur sein zu können.
Was denkt ihr? Macht euch die ganze Fotografie überhaupt keinen Spaß mehr, weil ihr aktuell nicht verreisen könnt? Oder nehmt ihr diese Beschränkung auf Motive eurer näheren Umgebung eher als Ansporn nach dem Motto „Jetzt erst recht!“? Lasst es mich gerne in den Kommentaren wissen.