Für mich ist das immer wieder ein ganz besonderer Moment: Irgendwann, meistens im späten Herbst, manchmal auch erst im Winter, schaue ich morgens aus dem Fenster und bin augenblicklich wie verzaubert. Der erste Frost hat über Nacht dafür gesorgt, unseren Garten in ein funkelndes Wunderwerk zu verwandeln. Alles ist weiß, Kristalle glitzern in der Sonne, nichts sieht mehr so aus wie noch einen Tag zuvor. Die ganze Welt wirkt stiller, freundlicher und auf eine fast magische Weise frisch und unberührt.
Vielleicht begeistert mich dieser Anblick auch deshalb so sehr, weil der Winter sich bei uns im Münsterland meistens eher als eine trübe, feuchtkalte Jahreszeit präsentiert. Raureif haben wir selten, Schnee noch viel seltener. Wenn dann plötzlich doch einmal die ganze Landschaft weiß überzuckert in der Wintersonne erstrahlt, dann geht mir, der viele Jahre im damals noch verlässlich schneereichen Bayern gelebt hat, immer ein wenig das Herz auf.
Am liebsten würde ich an diesen seltenen Tagen sogleich meine Kamera zücken und nach Herzenslust auf Fotopirsch gehen. Leider kann man in solchen Momenten nicht immer alles andere stehen und liegen lassen, um jenem verständlichen Impuls auf der Stelle nachzugeben. So war es auch in diesem Jahr. Aber ein wenig Zeit durfte ich dann doch inmitten der weißen Pracht verbringen. Wieder einmal diente mir dabei unser Garten als schnell erreichbares und somit höchst willkommenes Fotorevier.
Der Vorteil eines (skandalös) unaufgeräumten Gartens
Meine Frau ist eine begeisterte Gärtnerin, aber im Gegensatz zu den meisten anderen Gartenbesitzern leidet sie nicht an dem inneren Zwang, im Herbst alles radikal kurz und klein schneiden zu müssen. Sie ist damit bei uns im Münsterland wohl eher die Ausnahme als die Regel. Anständige Gärten haben hier nämlich stets adrett frisiert zu sein. Im Herbst schwingen deshalb auch allüberall entschlossene Elektrosensen- und Laubsauger-Ritter ihre heiß geliebten Waffen im ewigen Kampf Mensch gegen Natur.
Nicht nur der Fotograf in mir – der aber ganz besonders – ist froh darüber, dass unser Garten von solchen herbstlichen Radikalschnitt-Exzessen gänzlich unbeeinträchtigt bleiben darf. Schließlich wirkt Raureif ja erst so richtig fotogen, wenn er sich malerisch auf verblühte Stauden oder vertrocknete Gräser, auf die letzten bunten Blätter an noch ungestutzten Büschen, vielleicht sogar auf das (Achtung: Skandal!) vorwitzig zwischen den Pflastersteinen hervorlugende Moos legen kann.
Mit anderen Worten: Unser Garten, schlecht frisiert und ungebügelt, wird vermutlich so manchem ordnungsliebenden Mitmenschen ein recht schmerzhafter Dorn im Auge sein. Die Tiere hingegen lieben ihn sehr. Igel, Schmetterlinge, Libellen, Frösche, Käfer, Bienen, Eichhörnchen, unzählige Vogelarten, darunter sogar Eisvögel und, und, und… sind unsere ständigen und gern gesehenen Gäste. Kein Wunder also, dass auch ich in einem solchen Garten immer wieder mit Freude auf Fotopirsch gehe. Der bei uns eher seltene Raureif war dafür natürlich ein mehr als willkommener Anlass.
Wie die Raureif-Fotos entstanden sind
Zur Fotografie selbst gibt es hier nicht viel zu sagen: Objektive vom Makro bis zum leichten Tele; Weißabgleich wie immer auf 5.600 Kelvin und eine Belichtungskorrektur von +0.7, damit das strahlende Weiß des Raureifs nicht zu einem unansehnlichen Grau mutierte. Die Lichtverhältnisse wechselten immer mal zwischen sonnig und bedeckt, weshalb ich mich für die Blendenvorwahl entschieden habe. Ein gleichbleibender ISO-Wert von 1.250 garantierte hinreichend kurze Belichtungszeiten für Aufnahmen aus der Hand. Das Stativ hätte mich hier eher behindert, da unser Garten fast überall ziemlich dicht bewachsen ist.
Ich höre schon euren Einwand, und ihr habt ja auch recht: Zumindest in den sonnigen Phasen hätte ich die ISO sicher ein wenig herunterdrehen können. Aber warum sollte ich das tun? Die Umstellerei lenkt mich doch nur von der Suche nach Motiven und der Bildgestaltung ab. Und was wäre gewonnen? Klar, das Bildrauschen steigt mit höherer ISO, zugegeben. Aber jetzt mal ehrlich: Habt ihr wirklich beim Betrachten der Fotos daran Anstoß genommen? Ist euch das Rauschen auch nur aufgefallen? Na also. Dabei rauscht meine Olympus wegen ihres kleineren MFT-Sensors sogar ein wenig mehr als viele andere Kameras.
Vielleicht noch ein Wort zur Schärfentiefe: Ich habe mich bei der Mehrzahl der Bilder für eine recht offene Blende und damit eine eher geringe Schärfentiefe entschieden. Auch wenn ich weiß, welchen Wert viele Natur- und insbesondere Makrofotografen auf eine perfekte Schärfe von vorne bis hinten legen, gefallen mir nicht selten jene Bilder besser, in denen nur ein paar Details scharf abgebildet sind. Mich stört es oft nicht einmal, wenn größere und durchaus wesentliche Teile des Motivs in der Unschärfe verschwinden. Ganz im Gegenteil: Solche Fotos geben meine Empfindungen vor Ort manchmal viel besser wieder. Ich kann es nicht wirklich erklären. Im Grunde lasse ich mich hier einfach von meiner Intuition leiten.
Mit diesen frostigen Impressionen aus unserem winterlichen Garten möchte ich mich für heute verabschieden. Jetzt werde ich mir erst einmal einen heißen Tee zubereiten und mich dann in eines der wunderbaren Fotobücher vertiefen, die ich zu Weihnachten geschenkt bekommen habe. Wer weiß, vielleicht finde ich dort ja ein wenig Inspiration für meine eigene Fotografie. Ihr als Leser des Glaslinsenspiels werdet jedenfalls die Ersten sein, die es erfahren. Versprochen.