Hin und wieder, leider viel zu selten, gibt es jene ganz besonderen Momente, in denen ich vor einer Landschaft stehe und sofort weiß, dass ich diesen Anblick unbedingt im Bild festhalten möchte – nein, einfach festhalten muss. Idealerweise sollte mir das dann in einer möglichst perfekten Aufnahme gelingen. Nun ja, idealerweise! Aber leider ist das mit der Perfektion so eine Sache: Mir begegnet sie in meinen eigenen Fotos fast nie, und selbst dieses „fast“ dürfte bereits eine ziemlich dreiste Übertreibung sein.
Nicht selten bin ich am Ende sogar ziemlich enttäuscht, weil meine Aufnahme nichts von dem ausdrückt, was mich vor Ort so sehr begeistert hat. Zum Glück kenne ich da aber einen kleinen, nützlichen Trick. Er hat schon so manches Mal geholfen, mir diese Enttäuschung zu ersparen. Eigentlich ganz einfach: Es wird ja sicherlich einen Grund dafür geben, warum es mich förmlich in den Fingern juckt, ein Bild zu machen. Der besagte Trick besteht nun darin, trotzdem nicht sofort zur Kamera zu greifen, sondern mich erst einmal zu fragen, was genau es ist, das die vor mir liegende Szenerie für mich so besonders macht.
Wenn es mir gelingt, genau diese mich faszinierende Besonderheit aus der Vielfalt an Sinneseindrücken herauszufiltern und sie am besten auch noch möglichst eindeutig zu benennen, dann (aber auch vermutlich nur dann) könnte es etwas werden mit meinem Wunschfoto. Ich habe nämlich die Erfahrung gemacht, dass mir meine Bilder weitaus besser gefallen, wenn ich mir vorher sehr genau überlegt habe, welche Eigenschaft einer Landschaft – man könnte auch sagen: welche Stimmung – ich herausarbeiten möchte.
Das lässt sich leicht erklären: Es hilft mir einfach, wenn ich ein klares Ziel vor Augen habe, auf das ich hinarbeiten kann. Und dieses Ziel tut sich in dem Moment vor mir auf, wenn ich meine Wahrnehmung der Landschaft, ihres Charakters, ihrer Stimmung in Worte fasse. Ich bitte, mich nicht falsch zu verstehen: Die Rede ist hier nicht von einer geschwätzigen Beschreibung. In der Regel reichen mir schon ein oder zwei Adjektive. Der deutsche Begriff trifft es allerdings besser. Wir sprechen von den guten alten Eigenschaftswörtern. Denn genau darum geht es hier ja schließlich: Welche Eigenschaft der Landschaft war es, die mich verlockt hat, stehenzubleiben und meine Kamera hervorzukramen?
Ich will es an einem Beispiel erläutern: Wenn ich mir erst einmal im Klaren darüber bin, dass ich eine bestimmte Landschaft als düster und vielleicht auch etwas geheimnisvoll wahrnehme, dann – aber eben nur dann – kann ich versuchen, dies auch in meinem Foto herauszuarbeiten. Ich werde die Aufnahme in dem Fall vermutlich eher knapp belichten und fröhlich wirkende Elemente wie bunte Blumen oder blauen Himmel mit Schäfchenwolken nach Möglichkeit aussparen. In der Nachbearbeitung kämen dann vielleicht noch eine leichte Entsättigung der Farben, eine Vignette und das Verschieben der dunkleren Grautöne in Richtung Schwarz hinzu. Meine gesamte Herangehensweise wäre also darauf ausgerichtet, den von mir empfundenen Charakter der Landschaft (hier düster und geheimnisvoll) im Foto bestmöglich zum Ausdruck zu bringen – was mir aber, wie gesagt, nur dann gelingen kann, wenn ich mir über ihn von Anfang an bewusst bin.
Kurz zusammengefasst sieht meine Vorgehensweise, wenn ich es auf stimmungsvolle Landschaftsfotos abgesehen habe, in etwa so aus:
- durch die Gegend streifen
- mich vom speziellen Charakter einer Landschaft verzaubern lassen
- die empfundene Stimmung mit ein oder zwei (Eigenschafts-)Wörtern möglichst treffend beschreiben
- sie mittels Bildgestaltung und Kameraeinstellungen bestmöglich herausarbeiten
- in der Nachbearbeitung die gewünschte Bildstimmung noch ein klein wenig verstärken, dabei aber nicht übertreiben
Um ehrlich zu sein: Leider bin ich nicht immer so konsequent. Viele, sicher zu viele meiner Landschaftsaufnahmen entstehen sehr spontan und ohne die oben genannten Punkte einzuhalten. Nicht immer ist das schlecht. Spontaneität kann ja manchmal auch zu etwas Gutem führen. Viel häufiger aber ärgere ich mich im Nachhinein über mein wieder einmal eher unbedachtes Vorgehen. Noch habe ich jedenfalls die Hoffnung nicht ganz aufgegeben, mit fortschreitendem Alter irgendwann vernünftig zu werden.
Natürlich liegt mir – ebenso wie den allermeisten Fotografen – etwas daran, schöne Landschaftsaufnahmen zu machen. Aber ein schönes Foto ist noch lange kein gutes. Auch umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wirklich gute Landschaftsaufnahmen müssen nicht unbedingt gefällig sein. Viel wichtiger ist es, dass ein Betrachter den Charakter der im Bild festgehaltenen Landschaft, die ihr zumindest zum Zeitpunkt der Aufnahme innewohnende Stimmung spüren kann. Art und Stärke der vermittelten Emotionen hängen dabei nie nur vom Bild selbst ab, sondern ebenso sehr von der Persönlichkeit des Betrachters, seinen Erfahrungen, seiner Sensibilität. Aber eines dürfte klar sein: Selbst technisch absolut perfekte Fotos von noch so schönen Landschaften werden den faden Beigeschmack der Belanglosigkeit hinterlassen, wenn es ihnen an der wohl wichtigsten Zutat fehlt: Emotion.
Übrigens: Auch das letzte Foto, so irreal und übertrieben es auch wirken mag, ist echt. Während unseres Urlaubs auf der Isle of Skye in Schottland saßen meine Frau und ich am Abend eines herrlichen Tages in unserem Ferienhaus, einem gemütlichen, kleinen Cottage, als es plötzlich sehr dunkel wurde und ein ganz eigenartiges Licht durch die Fenster fiel. Wir gingen daraufhin vor die Tür und fanden uns in dieser beinahe surreal anmutenden Lichtstimmung wieder. Ich sauste sofort noch einmal hinein, um meine Kamera zu holen. Kurz darauf entstand das Foto – und nur wenige Augenblicke später brach ein wahrhaft sintflutartiger Wolkenbruch über uns herein.