Meine ersten Kraniche in freier Wildbahn habe ich vor vielen Jahren in Schweden gesehen. Offenbar haben diese großen und eleganten Vögel mich damals ganz schön beeindruckt, denn wie sonst wäre es zu erklären, dass ich mich daran noch heute so genau erinnere. Zu meiner großen Freude muss ich längst nicht mehr bis nach Skandinavien reisen, um Kraniche zu fotografieren. Nur etwa eine Dreiviertelstunde benötige ich von meinem Wohnort im nordöstlichen Münsterland bis in die Diepholzer Moorniederung. Dort legen seit einigen Jahren in jedem Herbst zehntausende Kraniche eine mehrwöchige Rast auf ihrem Weg in den Süden ein.
Warum rasten die Kraniche in der Diepholzer Moorniederung?
Als Zugvögel verlassen die Kraniche im Herbst ihre Brutgebiete im Norden und Nordosten Europas und machen sich auf den Weg in ihre Überwinterungsgebiete. Im Frühjahr fliegen sie dann wieder zurück. Es gibt eine östliche und eine westliche Zugroute, von der die westliche über Deutschland führt. Anders als viele Winterurlauber, die Hunderte von Autobahnkilometern an einem Stück abspulen, um möglichst bald am Skilift in der Schlange stehen zu dürfen, lassen die Kraniche sich beim Flug in ihr Winterquartier gerne recht viel Zeit. Allerdings sind sie ein wenig eigen, was die Wahl ihrer Rastplätze betrifft. Wo sich unsereins vielleicht schon mal mit einem Hackfleischklops im Flauschbrötchen zufrieden gibt (und sich nach dessen Verzehr reumütig schwört, so etwas niemals wieder in seinen Körper zu lassen), legen die anspruchsvollen Kraniche auf ein ruhiges Ambiente mit abwechslungsreicher Vollwertkost und behaglichem Schlafkomfort Wert. Sie achten insbesondere auf folgende Ausstattungsmerkmale:
- beste Schlafplätze
Man möchte die Nacht im Flachwasser stehend und somit vor Fressfeinden geschützt verbringen. - ruhige Umgebung
Störungen (z.B. durch Spaziergänger, Baustellen usw.) werden in der Regel nicht toleriert. - gehobene Verpflegung
In nicht allzu großer Entfernung der Schlafplätze sollten abgeerntete Felder und Feuchtwiesen ein ordentliches Angebot an tierischer (Würmer, Schnecken, Frösche, Kleinsäuger…) wie auch pflanzlicher Nahrung (Getreidekörner, Eicheln, Kartoffeln…) bereithalten.
Als Ergebnis engagierten Naturschutzes wurden in der Diepholzer Moorniederung trockengelegte Moorflächen wieder vernässt, eine auf minimale Störungen ausgelegte Besucherlenkung eingeführt und die Grünlandnutzung zum Teil extensiviert. Diese Bemühungen ganz im Sinne der Naturschützer als Einladung betrachtend, nehmen inzwischen jährlich mehrere Zehntausend Vögel an den Diepholzer Wellness-Wochen für Kraniche teil. Biologen würden wohl eher sagen, sie nutzen dieses Gebiet als Trittsteinbiotop für eine mehrwöchige Rast im Herbst. Inzwischen ist die Diepholzer Moorniederung auf jeden Fall eine der meistbesuchten Zwischenstationen der Kraniche auf ihrem gesamten Zug.
Allerdings haben die sehr trockenen Sommer in jüngster Zeit dazu geführt, dass nicht mehr an allen Schlafplätzen der ideale Wasserstand vorherrscht. Die regelmäßigen Zählungen werden erweisen, ob dadurch die Attraktivität der Diepholzer Moorniederung aus Sicht der Kraniche Einbußen erlitten hat. Im Moment sieht es wohl eher so aus, als ob lediglich innerhalb des Gebiets Verlagerungen stattgefunden haben.
Wo findet man Kraniche in der Diepholzer Moorniederung?
Am einfachsten gelangt man zu den Kranichen, wenn man die A1 zwischen Osnabrück und Bremen an einer der drei Ausfahrten Holdorf, Lohne/Dinklage oder Vechta verlässt und sich dann östlich hält. Je nach gewählter Ausfahrt erreicht man dann bald das Große Moor oder das Rhedener Geestmoor; nur wenige Kilometer mehr sind es bis zum Wietingsmoor oder zum Neustädter Moor.
Nach meinen Erfahrungen lohnt es sich, im Umfeld der genannten Moore nach den großen, eleganten Vögeln Ausschau zu halten. Da sie tagsüber in erster Linie damit beschäftigt sind, sich Energiereserven für ihren Weiterflug anzufuttern, findet man die Kraniche in aller Regel auf Feuchtwiesen und Äckern, insbesondere auf abgeernteten Maisfeldern. Manchmal steht da nur eine Kranich-Familie; meist sind es aber einige Dutzend und hin und wieder sogar mehrere Hundert Vögel. Da man nie genau wissen kann, auf welchem Feld sich aktuell Kraniche eingefunden haben, fährt man am besten ein wenig herum und beobachtet die Felder rechts und links der Straße. Die meist sehr gut ausgebauten Wirtschaftswege, die hier praktisch alle landwirtschaftlich genutzten Flächen schachbrettartig durchziehen, sind dafür wie gemacht.
Welche Kraniche gibt es in der Diepholzer Moorniederung?
In Europa leben nur zwei Kranicharten, von denen lediglich der Graukranich (Grus grus) bei uns in Deutschland anzutreffen ist. Üblicherweise spricht man jedoch nur vom Kranich, lässt die Vorsilbe „Grau“ also weg. Eine Verwechslungsgefahr ist ja nicht gegeben. Alle Fotos, die ich in der Diepholzer Moorniederung aufgenommen habe, zeigen also logischerweise ausschließlich (Grau-)Kraniche.
Die zweite in Europa vorkommende Kranichart ist der Jungfernkranich. Sein Verbreitungsgebiet beschränkt sich aber auf die Türkei, Russland und die Ukraine. Da auch er ein höchst fotogener Vertreter der Kranichvögel ist, habe ich einfach nicht widerstehen können und hier zwei Fotos von Jungfernkranichen eingeschmuggelt. Diese Bilder sind natürlich nicht in der Diepholzer Moorniederung entstanden. Ich habe sie im Naturzoo Rheine aufgenommen.
Wann rasten Kraniche in der Diepholzer Moorniederung?
Während die Kraniche im Herbst oft mehrere Wochen bleiben, bevor sie dann nach Frankreich und Spanien in ihre Überwinterungsgebiete weiterfliegen, legen sie im Frühjahr nur eine recht kurze Rast auf dem Weg in ihre Brutgebiete ein. Das hat dann auch Auswirkungen auf die Zahl der anzutreffenden Vögel. Während die Höchststände im Herbst in den letzten Jahren zwischen etwa 40.000 und 80.000 Exemplaren schwankten, zählte man im Frühjahr nur zwischen 6.000 und 9.000 Tiere (im März 2017 allerdings auch einmal mehr als 30.000).
Über die letzten Jahre betrachtet war es im Herbst wohl deutlich einfacher als im Frühjahr, Kraniche vor die Linse zu bekommen. Die meisten Vögel konnte man stets ab Mitte Oktober bis Mitte November antreffen. Das dürfte denn wohl auch der geeignetste Zeitraum sein, um sie in diesem Rastgebiet zu beobachten oder zu fotografieren.
Einige Kranichpaare haben die Diepholzer Moorniederung inzwischen sogar zu ihrem Brutgebiet erkoren. Dabei sind sie aber sehr heimlich, und kein Foto wäre es wert, sie bei der Brut oder der Jungenaufzucht zu stören, zumal, wenn man bedenkt, dass die Kraniche in den Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts in Westdeutschland praktisch ausgestorben waren. Immerhin sind diese Bruten ein Beleg dafür, was konsequenter Naturschutz selbst in Zeiten eines ansonsten ebenso rasanten wie alarmierenden Artensterbens erreichen kann.
Wie fotografiert man die Kraniche am besten?
Um mal eine saloppe Antwort auf diese Frage zu geben: Das wüsste ich auch gern. Im Ernst, mir fällt es tatsächlich alles andere als leicht, zu ordentlichen Bildern dieser wunderschönen Vögel zu gelangen. Dabei ist die beste Vorgehensweise im Grunde ganz einfach: Wenn man links oder rechts der oben beschriebenen Wirtschaftswege Kraniche entdeckt, dann hält man an einer geeigneten Stelle an, legt einen Bohnensack ins möglichst bereits vorher geöffnete Seitenfenster, drückt die Kamera mit dem Objektiv zur besseren Stabilisierung ein wenig in den Bohnensack, und schon kann’s losgehen. Wer den Beitrag über die Gänse am Niederrhein gelesen hat, der wird sich vielleicht erinnern, dass die dort beschriebene Vorgehensweise exakt die gleiche war. Und auch die Kameraeinstellungen können genauso gewählt werden wie bei den Gänsen. Da es keinen Sinn ergibt, das alles hier noch einmal ausführlich zu wiederholen, belasse ich es bei einem kleinen Hinweis. Falls jemand sich für die Details interessiert: Bitte einfach einmal den Blogbeitrag zur Gänsefotografie anschauen.
Wahrscheinlich fragt ihr euch gerade, wieso es überhaupt schwierig sein sollte, brauchbare Kranichfotos zu machen, zumal die Kraniche ja recht große und ziemlich fotogene Vögel sind. Müsste es da im Grunde nicht sogar ziemlich einfach sein? Nun, leider ist die Sache tatsächlich um einiges vertrackter, als man vielleicht zuerst glaubt. Ich zumindest hadere nach jedem Ausflug zu den Kranichen mit meinen fotografischen Ergebnissen. Insofern stellen die Bilder in diesem Artikel auch nicht mehr als eine erste Annäherung dar. Aber was soll’s, so habe ich jedes Jahr im Herbst wieder einen guten Grund, die Kraniche in der Diepholzer Moorniederung zu besuchen.
Immerhin bin ich bei der Suche nach den Gründen für die Schwierigkeiten schon einen großen Schritt weitergekommen. Nach vielen misslungenen Kranichfotos und anschließender intensiv betriebener Ursachenforschung kann ich nun mit Erleichterung verkünden: Es liegt nicht an mir, es liegt an den Kranichen. Sie sind die Schuldigen. Eindeutig. Diese Vögel, wie hübsch sie auch immer sein mögen, legen einfach nicht jenes professionelle Verhalten an den Tag, das man als hart arbeitender Fotograf von seinen Models wohl mit Fug und Recht erwarten darf. Also muss ich dann so manchem zickigen Kranich jene berühmten Worte Heidi Klums (leicht abgewandelt) zurufen: „Von dir habe ich heute leider kein Foto!“
Und was hat der mäkelige Herr Fotograf selbst an diesen eleganten und wunderschönen Vögeln noch herumzunörgeln? Nun denn, bitte sehr:
Nörgelgrund 1: geringe Bereitschaft zur Mitarbeit
Kraniche sind uns Menschen gegenüber noch einmal eine ganze Portion misstrauischer als Gänse, was sich in einer erheblich größeren Fluchtdistanz bemerkbar macht. Wo Gänse ein anhaltendes Auto meist nur etwas argwöhnisch betrachten oder sich schlimmstenfalls gemächlich grasend ein Stückchen entfernen, ziehen sich Kraniche sofort weit zurück oder fliegen einfach auf und davon. Da jedes Auffliegen Energie kostet, die eigentlich dringend für die weitere Reise der Vögel ins Winterquartier benötigt wird, versuche ich das natürlich zu vermeiden. Inzwischen weiß ich ihr Fluchtverhalten recht gut einzuschätzen und halte bei dicht an der Straße stehenden Kranichen gar nicht erst an. Ich würde sie ja doch nur unnötig aufscheuchen und käme dennoch zu keinen vernünftigen Fotos.
Lieber versuche ich es bei Vögeln, die etwas weiter weg in der Wiese oder im Feld stehen. Da sind meine Chancen gut, dass sie mein Anhalten tolerieren werden. Allerdings benötige ich dann wirklich alles, was mir an Telebrennweite zur Verfügung steht. Mit dem 300er Teleobjektiv einschließlich 1.4-fach Konverter komme ich auf 420 mm. Bei meiner Olympus entspricht das immerhin einem satten Bildwinkel von kleinbildäquivalenten 840 mm. Hier hilft es mir natürlich sehr, dass ich mich für eine Kamera mit dem kleineren MFT-Sensor entschieden habe.
Eine Begleiterscheinung dieser Vorgehensweise kann allerdings gerade im Herbst bei Regen, Nebel oder auch bereits bei hoher Luftfeuchtigkeit zum Problem werden: Je länger der Weg zwischen Kamera und Kranich ist, desto mehr kleine oder kleinste Wassertröpfchen in der Luft werden unvermeidbar „mitfotografiert“. Dies führt häufig zu Aufnahmen, die selbst bei korrekter Fokussierung leicht unscharf wirken können.
Auf ein weiteres Problem stoße ich, wenn die Kraniche sich von mir fernhalten und deshalb dann auf der gegenüberliegenden Seite des Feldes oder der Wiese recht nah vor einem unruhigen Hintergrund wie z.B. einer Hecke stehen. In solchen Fällen schlägt der eben erwähnte Vorteil meines kleinen Sensors schnell wegen der größeren Schärfentiefe in einen Nachteil um. Es ist dann manchmal auch bei der größtmöglichen Blende nicht mehr möglich, die Vögel optisch freizustellen. Im Grunde bin ich kein so großer Freund extrem unscharfer, weicher Hintergründe in der Tierfotografie. Meistens strebe ich es eher an, auch einen Eindruck vom jeweiligen Umfeld zu vermitteln. Dennoch sollte der Hintergrund natürlich nur die Bühne für das eigentliche Motiv sein und nicht von ihm ablenken.
Nörgelgrund 2: falsche Prioritäten beim Location Scouting
In der Tierfotografie sind ja nun einmal die Models für die Auswahl der Foto-Location zuständig. Statt sich im Bewusstsein dieser großen Verantwortung eine optisch ansprechende Umgebung zu suchen, denken die Kraniche leider nur ans Fressen. So stehen bei ihnen abgeerntete Maisfelder besonders hoch im Kurs. Die Begeisterung des Fotografen hält sich da eher in Grenzen.
Im Endeffekt bleiben mir nur zwei Möglichkeiten: Zum einen kann ich versuchen, den abgeernteten Maisfeldern doch noch irgendwie ein wenig Atmosphäre zu verleihen. Ein Wald als Hintergrund oder etwas Nebel sind mir deshalb zum Beispiel fast immer willkommen. Zum anderen suche ich stets ganz besonders aufmerksam nach solchen Kranichen, die sich entschlossen haben, ihren Speiseplan jenseits der Maisstoppeläcker anzureichern. Mit etwas Geduld, ein wenig Erfahrung und einer Portion Glück kann das gelingen.
Im Übrigen ist es ja durchaus erfreulich, dass sich zumindest die Kraniche über die zunehmende „Vermaisung“ unserer Landschaft freuen.
Nörgelgrund 3: unambitioniertes Posing
Während jedes 12-jährige Mädchen inzwischen ganz genau weiß, welche Posen zu mehr Likes auf Instagram & Co. verhelfen, scheren meine Kraniche sich leider keinen Deut darum, gut rüberzukommen. Dabei hätten sie ohne jeden Zweifel das Zeug dazu. In Filmen und auf Fotos aus ihren Brutgebieten kann man ja sehen, welche fantastischen Balztänze diese Vögel dort aufführen. Sie sind geradezu berühmt dafür.
Leider ist hier in der Diepholzer Moorniederung im Herbst einfach nur Fressen angesagt. Meistens sieht man nicht einmal ihren Kopf, weil er bei der Futtersuche in den Stoppeln oder im Gras verschwindet. Alternativ schauen sie aufmerksam in die Gegend. Also Kopf oben oder Kopf unten – mehr wird oft über lange Zeit nicht geboten. Da braucht man schon eine Menge Geduld, wenn einmal etwas anderes eingefangen werden soll.
Warum Aufgeben keine Option ist
Aus all den oben aufgezählten Gründen fällt es mir tatsächlich alles andere als leicht, Kranichbilder zu machen, mit denen ich auch nur einigermaßen zufrieden bin. Dennoch freue ich mich jedes Jahr im Herbst wieder darauf, diese wunderschönen Vögel in der Diepholzer Moorniederung besuchen zu können. Es ist mir ein großes Vergnügen, sie zu beobachten und zu fotografieren – trotz all der Schwierigkeiten. Welch eine Freude, wenn ich die ersten Vögel in der Ferne ausmachen kann.
Ganz besonders haben es mir dabei die Kranichfamilien angetan, bestehend aus Vater, Mutter und ein oder zwei Jungen. Ähnlich wie man in einer dicht bevölkerten Fußgängerzone Familien daran erkennt, dass sie sich stets nah beieinander haltend durch die anderen Menschen wuseln, sind auch die kleinen Kranichfamilien selbst inmitten großer Ansammlungen dieser Vögel meist unschwer auszumachen.
Vor allem aber gehören die Kraniche in meinen Augen zu den anmutigsten und hübschesten Vögeln, die man zumindest in unseren Breiten finden kann. Sie sind vielleicht nicht meine einfachsten Models, aber sei’s drum: Ich werde sicher auch im nächsten Herbst wieder ein paar Tage den Kranichen widmen. Schließlich sind ja noch jede Menge Wunschmotive offen.
Kennt ihr so etwas auch, dass ihr bei bestimmten Motiven alles versucht und dennoch immer wieder mit euren Ergebnissen hadert. Und konntet ihr herausfinden, woran das liegt? Habt ihr vielleicht gar eine Lösung gefunden? Schreibt es bitte in die Kommentare. Vielleicht helft ihr mir damit ja, mein kleines Kranich-Trauma ein für alle Mal zu überwinden.