Was soll man als Naturfotograf bei richtig miesem Wetter machen? Die Kälte stört mich nicht. Auch mit heftigem Wind und sogar mit Regen komme ich normalerweise ganz gut klar. Aber dieses feuchtkalte Herbstwetter, das gleich alle drei genannten Plagen auf einmal bereithält, muss ich wirklich nicht haben. Bleibt die Frage, wo ich denn jetzt überhaupt noch mit ein wenig Spaß an der Sache fotografieren könnte. In normalen Jahren bieten sich Schmetterlingshäuser oder auch Aquarien und Terrarien als Alternativen für die unwirtlichste Zeit des Jahres an. Aber leider sind die derzeit wegen Corona nur sehr beschränkt zugänglich oder gleich ganz geschlossen. Der eigene Garten fällt auch aus, jedenfalls weitgehend. Er hätte zwar den unbestreitbaren Vorteil, immer mal wieder zum Aufwärmen und Trockenlegen ins Haus flüchten zu können; leider bietet er aber gerade zu dieser Jahreszeit nicht ganz so viele fotogene Motive wie sonst. Und nun?
An dieser Stelle ist in den meisten Blogbeiträgen bereits das erste Foto zu finden. Heute müsst ihr darauf noch ein wenig warten. Dieses Mal schien es mir sinnvoller, die Fotos erst etwas weiter unten, aber dafür dann mit ein paar Erläuterungen zu ihrer Entstehung einzufügen. Bitte habt ein wenig Geduld.
Die Idee
Um es kurz zu machen, ich bin angesichts dieser Umstände auf eine ziemlich – nun ja, sagen wir – ungewöhnliche Idee gekommen: Wie wäre es, die Naturfotografie einfach einmal ins Haus zu verlegen? Ja, ich weiß, Naturfotografie zu Hause, das klingt im ersten Moment ähnlich verrückt wie Indoor-Pflügen oder Badewannen-Schnorcheln. Deshalb habe ich die Idee auch gleich wieder verwerfen wollen. Das Problem war nur, dass sie mir einfach nicht mehr aus dem Kopf ging. Vielleicht könnte die Sache ja doch ihren Reiz haben. Und was, außer als einigermaßen vernünftiger Mensch eingeschätzt zu werden (zumindest von wohlwollenden Zeitgenossen), hätte ich schon zu verlieren? Na also!
Aus der Schule weiß ich noch: Nach Dürrenmatt ist eine Geschichte erst dann zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat. Also habe ich noch eins draufgesetzt und mich keineswegs allein schon damit zufriedengegeben, drinnen zu fotografieren. Wenn schon, denn schon. Nur ein einziges Motiv sollte es deshalb sein, noch dazu nichts Spannenderes als ein paar vertrocknete Blütenstände.
Ob ich damit wirklich genügend Fotos für einen ganzen Blogbeitrag zustande bringen könnte? Ich wusste es wirklich nicht. Auf jeden Fall aber würde durch diese ziemlich verrückten Einschränkungen meine Kreativität gefragt sein, so viel war klar. Ganz und gar nicht klar war hingegen, ob mir davon überhaupt genügend zur Verfügung stand. Na, das konnte ja heiter werden.
Die Umsetzung
Kaum hatte ich ihn gefasst, schon war ich von meinem Entschluss ausgesprochen angetan und felsenfest überzeugt, dabei eine Menge Spaß zu haben. Außerdem hielt ich es für eine gute Übung. Da ich sicherlich so einiges ausprobieren würde – besser: ausprobieren müsste – dürften meine fotografischen Fähigkeiten davon ja hoffentlich ein klein wenig profitieren. Und das alles, ohne dabei bäuchlings im nassen Gras zu liegen oder mir die Finger abzufrieren. Das klang doch durchaus verlockend.
Also setzte ich mich hin und arbeitete an einer Liste mit Fotoideen, an denen ich mich versuchen wollte: selbstverständlich unterschiedliche Beleuchtungen, verschiedene Hintergründe, aber auch das Arbeiten mit Bewegung, Farben, Schwarz-Weiß, Makros und manches mehr… Erstaunlicherweise hatte ich tatsächlich recht schnell eine ganz ordentliche Liste mit Ideen beieinander. Welch ein wunderbares Hobby die Fotografie doch ist!
Die eigentlichen Rückschläge kamen dann, wie ja im Grunde bei jedem Projekt, als es an die konkrete Umsetzung ging. Wenn wieder mal eine meiner grandiosen Bildideen überhaupt nicht funktionierte, hätte ich doch um einiges lieber draußen im Regen gestanden und irgendwelche öden, kahlen Felder oder etwas ähnlich Inspirierendes fotografiert. In solchen Momenten erschien mir alles verlockender, als mich mit diesem blöden, längst verblühten Was-auch-immer vor meiner Kamera abzuquälen. Wie war ich Döspaddel nur auf diese blödsinnige Idee gekommen? Welch ein nervtötendes Hobby die Fotografie doch ist!
Die Fotos
Nun, am Ende sind dann doch einige Bilder dabei herausgekommen, die ihren Weg ins Glaslinsenspiel gefunden haben. Ob es sich bei ihnen nun um Naturfotos handelt, das müsst ihr selbst entscheiden. Sie alle sind jedenfalls in der Kamera entstanden, ohne in die Photoshop-Trickkiste gegriffen zu haben.
Erst mal ganz klassisch
Die ersten drei Fotos unten sind allesamt realistische Abbildungen meines schlichten Motivs – und dennoch ganz schön unterschiedlich. Wie kann das sein? Nun, in diesen Fällen ausschließlich durch die Lichtsetzung. Die Fotos sind – wie übrigens auch alle anderen in diesem Beitrag – in meinem Fotokeller entstanden, den ich ein wenig größenwahnsinnig gerne als mein Fotostudio bezeichne. Im Grunde nichts weiter als ein ziemlich großer Raum mit leider nicht allzu hoher Decke und weißen Wänden, fast ohne Tageslicht. Ich hatte in allen drei Fällen die Kamera auf einem Stativ etwa zwei Meter vor dem Motiv aufgebaut.
Wann immer der Hintergrund in diesen – und auch den weiteren – Bildern nicht weiß sondern grau oder gar schwarz erscheint, dann ausschließlich deshalb, weil weniger oder gar kein Licht auf ihn fiel. Es handelt sich dennoch in allen Fällen um nichts als eine schlichte weiße Wand.
Im nächsten Bild habe ich die Sache noch einmal auf die Spitze getrieben, indem ich die Wand überbelichtet und das eigentliche Motiv unbeleuchtet gelassen habe. Auf diese Weise ist praktisch eine Schwarzweiß-Aufnahme entstanden, der es an jeglichen Grautönen fehlt. Ich finde, die Struktur des Zierlauchs bietet sich für so eine klassische Silhouette geradezu an.
Blick auf die Details
Natürlich lag es auf der Hand, die kleinen hübschen Details der Blütenstände mit dem Makroobjektiv herauszuarbeiten. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie lohnend dieser Blick in die Welt der kleinen Dinge doch ist. Bei zwei der drei Aufnahmen bin ich dabei wirklich an die Grenze meines Objektivs gegangen und habe im Maßstab 1:1 fotografiert. Da ich eine Olympus verwende, also eine Kamera mit dem kleineren MFT-Bildsensor, entspricht das umgerechnet auf das übliche Kleinbildformat dann sogar einem Maßstab von 2:1. Mit anderen Worten: Was ihr hier recht groß sehen könnt, ist in Wirklichkeit sehr klein. Winzig klein.
Da bei diesem Abbildungsmaßstab der Schärfentiefebereich nur noch hauchdünn ist, war eine automatische Fokussierung einfach nicht mehr sinnvoll möglich. Selbst die manuelle Scharfstellung mit Hilfe des Fokussierrings am Objektiv wird dabei schon zum Glücksspiel. Ich habe deshalb eine Makroschiene verwendet, was mir die Sache doch erheblich erleichtert hat. Manchmal kommt es eben doch auf gutes, sinnvolles Werkzeug an.
Strukturen in Schwarz-Weiß
Da ich im Grunde gerne, aber dennoch recht selten in Schwarz-Weiß fotografiere, habe ich diese Gelegenheit natürlich genutzt. In solchen Fällen stelle ich meine Kamera so ein, dass sie mir das Bild gleich in Graustufen anzeigt, obwohl die Farbinformationen im Raw-Format ja dennoch aufgezeichnet werden. Ich mag es aber einfach lieber, wenn ich das Bild bereits im Sucher so sehe, zumindest in etwa, wie es sich später nach der Umwandlung in ein Schwarz-Weiß-Foto darstellen wird.
Diese Umwandlung erfolgt dann allerdings erst am Rechner mit Hilfe von Lightroom. Wie ich dabei vorgehe, habe ich bereits in einem früheren Blogbeitrag beschrieben. Falls ihr euch dafür interessiert, dann klickt bitte einfach hier.
Bewegung im Unbewegten
Jetzt wird’s fetzig, wir kommen zur Actionfotografie. Zugegeben, allzu viel Action war hier nicht im Spiel, aber immerhin habe ich doch ein wenig Bewegung in die Sache gebracht. Durch einen Neutralgraufilter konnte ich eine relativ lange Belichtungszeit von knapp zwei Sekunden erreichen. Die wiederum gab mir dann die Gelegenheit, während der Aufnahme entweder die Kamera zu bewegen oder am Zoomring des Objektivs zu drehen. Beide Varianten führten letztlich zu Bildern, die recht dynamisch wirken, obwohl das Motiv in Wirklichkeit ja einfach nur stocksteif dastand.
Mich erinnern diese Fotos ein wenig an Feuerwerk. Falls ihr also schwer enttäuscht sein solltet, weil wir wohl auch in diesem Jahr wieder auf Silvesterraketen verzichten müssen, dann versucht es doch mal mit dieser Alternative: Geht einfach mit euren Gästen in den Keller und fotografiert vertrockneten Zierlauch, völlig virenfrei und noch dazu absolut umweltfreundlich. Das wird zweifellos so richtig Stimmung in die Bude bringen. Prosit Neujahr!
Jetzt wird’s bunt – vielleicht zu bunt
Warum sollte ich die wunderschöne Silhouette meiner Blütenstände eigentlich nur vor einer weißen Wand ablichten? Man könnte doch wohl auch ein wenig Farbe ins Spiel bringen. Gedacht, getan. Also habe ich mir eine meiner Taschenlampen geschnappt, und zwar jene, die neben weißem auch Licht in verschiedenen Farben bereithält.
Bei diesen Aufnahmen kam die „Live Composite“-Funktion meiner Olympus endlich mal wieder zum Einsatz. Sie erlaubt es mir, eine Basisaufnahme zu machen (in dem Fall die Silhouette) und diese dann anschließend mit einer weiteren beliebig langen Aufnahme zu kombinieren, in der aber ausschließlich zusätzliches Licht (hier die bunte Ausleuchtung der Wand) aufgenommen wird. Während dieser zweiten Aufnahme kann man den Fortschritt live am Monitor verfolgen. Beide Aufnahmen zusammen werden dann als eine einzige Raw-Datei gespeichert.
Ich weiß, das klingt kompliziert. In Wirklichkeit könnte es aber gar nicht einfacher sein: Mit der ersten Aufnahme habe ich das Motiv so fotografiert, wie ich es haben wollte, hier eben als Silhouette. Während der zweiten Aufnahme musste ich dann nur noch die Wand hinter dem Motiv mit der Taschenlampe bunt ausleuchten. Da hierbei nichts als das zusätzliche Licht auf den Sensor gebannt wird, konnte ich ganz gemütlich mit der Taschenlampe malen, zwischendurch eine andere Farbe wählen, diese Farben nach Herzenslust auf der Wand überlagern und dabei das Ergebnis jederzeit am Monitor der Kamera überwachen. Einfach genial!
Ich gebe es zu: Das nächste Bild ist schon ein wenig kitschig – na ja, vielleicht auch etwas mehr als nur ein wenig. Dafür kann man aber hier recht gut erkennen, wie es entstanden ist. Rechts habe ich die Wand mit rotem, links mit grünem Licht „bemalt“. In der Mitte kam es dabei zu einer Überlagerung dieser beiden Farben, wodurch sie sich zu Orange addierten.
Das alles wäre selbstverständlich auch ohne Live Composite zu realisieren, aber um einiges leichter wird es durch die Nutzung dieser pfiffigen Funktion schon.
Zwei Fotos zum Preis von einem
Für die nächsten Bilder habe ich etwas genutzt, das man schon aus analogen Zeiten kennt und das auch heute die allermeisten Digitalkameras bieten: die Möglichkeit der Mehrfachbelichtung, also der Kombination von zwei oder mehr Aufnahmen zu einem einzigen Foto. Ich weiß, das geht auch ganz einfach in Photoshop, noch dazu mit mehr Optionen, das Ergebnis zu beeinflussen. Aber für den heutigen Blogbeitrag hatte ich mir ja nun einmal vorgenommen, alle Bilder sollten in der Kamera entstehen. Nur ein wenig Lightroom zur Helligkeits-, Kontrast- und Farboptimierung bzw. für die Schwarz-Weiß-Umwandlung hatte ich mir erlaubt, aber eben keine „Photoshopperei“.
Das folgende Foto ist eine Doppelbelichtung, wobei ich beim ersten Auslösen auf das Motiv scharfgestellt hatte, vor dem zweiten Auslösen dann aber defokussierte. Man kann es ganz gut an den hellen Farbsäumen rund um die Konturen der Pflanze sehen.
In den beiden nächsten Bildern habe ich zwei unterschiedliche Motive im Rahmen einer Doppelbelichtung zu einem Foto kombiniert. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als seien das Notenheft bzw. die Korkscheibe der Hintergrund, vor dem der Zierlauch fotografiert wurde. Dass es sich in Wirklichkeit jeweils um Doppelbelichtungen handelt, kann man aber bei genauem Hinsehen erkennen: Die vermeintlichen Hintergründe überlagern an manchen Stellen Teile des Blütenstands deutlich sichtbar.
Was mir sonst noch so einfiel
Zu guter Letzt habe ich noch ein paar Fotoideen umgesetzt, die in keine der bisher angeführten Kategorien passen. Aber was soll’s? Dann zeige ich sie euch eben ganz ohne weiteres Vorgeplänkel. Bitte sehr:
Mein Fazit
Jetzt mal ehrlich: Hätte mir jemand einzureden versucht, ich könne mit (fast) nichts als etwas vertrocknetem Zierlauch und meiner Kamera stundenlangen Fotospaß haben, ich hätte ihn glatt für verrückt erklärt. Aber genauso war es. Jedenfalls meistens. Also zumindest immer dann, wenn eine Idee funktioniert hat. Wenn nicht, dann habe ich mir eben erst einmal einen Tee gemacht. Ich hatte verdammt viel Tee in den letzten Tagen. Aber auch Spaß. Und dann wieder Tee…
Gelernt habe ich auch so einiges:
- Eine beschränkte Motivauswahl fördert die Kreativität.
- Licht ist zwar nicht alles, aber beinahe.
- Auch verrückte Ideen können funktionieren. Wohlgemerkt können.
- Selbst ein sehr einfach eingerichtetes Fotostudio (wie mein Keller) lohnt sich.
- Tee hilft immer.
Das war’s für heute. Ich hoffe, ihr hattet ein wenig Freude an den Fotos. Falls ja, dann empfehlt das Glaslinsenspiel doch bitte netten Menschen aus eurem Umfeld weiter. Falls nein, dann empfehlt es einfach den weniger netten Menschen.